Bürokratiebelastung durch A1-Be­schei­nigung und Ent­sen­de­richt­linie – Studien zeigen große Unter­schiede im EU-Ver­gleich

Ein Beitrag von Dr. Gisela Meister-Scheufelen, Vorsitzende des Normenkontrollrats Baden-Württemberg von 2018–2022

Die Stiftung Familienunternehmen hat in Kooperation mit dem Normenkontrollrat Baden-Württemberg in einem EU-Vergleich die Bürokratiebelastung der Unternehmen bei der A1-Bescheinigung(1) und der Entsenderichtlinie(2) untersucht. Mit dem Vergleich der Regelungsebene wurde das Centrum für Europäische Politik (CEP) und mit der praktischen Umsetzung die Prognos AG beauftragt. Es wurden 177 Unternehmen und Experten in Frankreich, Italien, Österreich und Deutschland befragt.

Inhalt und Zweck der beiden EU-Rechtsakte

A1-Bescheinigung

Mit der A1-Bescheinigung wird nachgewiesen, dass für einen Arbeitnehmer das Sozialversicherungsrecht seines Heimatlandes gilt. Ein Arbeitgeber muss sie beantragen, wenn er einen Arbeitnehmer vorübergehend in ein anderes EU-Land entsendet, und sei es auch nur für eine kurze Dienstreise, z. B. einen Messebesuch oder ein Gespräch mit Vertragspartnern an einem Tag. In der EU gilt, dass jeder Arbeitnehmer den Bestimmungen des Sozialversicherungsrechts eines einzigen Mitgliedstaats unterliegt (Beschäftigungsstaatprinzip). Im Interesse des Arbeitnehmers wird verhindert, dass er im Aufnahmemitgliedsland auf dasselbe Einkommen noch einmal Sozialabgaben zahlen muss. Die Nachweispflicht besteht sowohl für Arbeitnehmer als auch für Beamte und Selbständige. EU-weit werden im Exportland Deutschland mit Abstand die meisten A1-Bescheinigungen ausgestellt.

EU-Entsenderichtlinie

Mit der erstmals 1996 verabschiedeten EU-Entsenderichtlinie soll erreicht werden, dass Arbeitnehmern die Mindestschutzbestimmungen des Staates, in den sie entsandt werden, garantiert werden. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf den Mindestlohn, die Arbeitszeit und die Arbeitssicherheit. Gleichzeitig sollen die Arbeitnehmer im Heimatland vor Lohn- und Sozialdumping geschützt werden.

Beide EU-Regelungen bilden einen sozialpolitischen Rechtsrahmen, der im Zuge des Binnenmarkts und der damit verbundenen Dienstleistungsfreiheit innerhalb der EU geschaffen wurde. Die Regelungen dienen dem Schutz der Arbeitnehmer sowie dazu, gleiche Wettbewerbsbedingungen für die grenzüberschreitende Erbringung von Dienstleistungen sicherzustellen und nicht zuletzt den Interessen der jeweiligen Träger der nationalen Sicherheitssysteme.

Bürokratierelevante Vorgaben der beiden EU-Rechtsakte

Das EU-Recht sagt nichts darüber aus, welche Angaben der Antrag auf eine A1-Bescheinigung enthalten muss. Anders die Entsenderichtlinie. Sie ermöglicht den Mitgliedstaaten, Verwaltungsvorgaben zu machen und Kontrollmaßnahmen zu erlassen, schreibt ihnen diese aber nicht vor. Sie listet vielmehr auf, welche Angaben verlangt werden können, so z. B. zur Identität des Arbeitgebers, zum Arbeitnehmer, zur voraussichtlichen Dauer der Entsendung oder zur Art der Entsendung.

Bürokratiekosten im Vergleich

Die Prognos AG hat mithilfe von Interviews die Bürokratiebelastung in den vier Vergleichsländern nach der Methodik des Standard-Kosten-Modells erhoben und ausgewertet.(3)

Zeitaufwände für die Anmeldevorgänge im Ländervergleich

Gesamtzeit für den (reinen) Anmeldevorgang bei einer A1-Bescheinigung (4)

Zeitlicher Aufwand für den (reinen) Anmeldevorgang bei einer Entsendung (5
  
Österreich 32 Minuten 66 Minuten
Deutschland 26 Minuten 66 Minuten
Italien 19 Minuten 71 Minuten
Frankreich 19 Minuten 80 Minuten
 


1 Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europ. Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit sowie Beschluss der Verwaltungskommission für die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit Nr. A1 vom 12. Juni 2009.
2 Richtlinie (EU) 2018/957 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Juni 2018 zur Änderung der Richtlinie 96/71/EG über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen sowie Richtlinie 2014/67/EU des Europ. Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 zur Durchsetzung der Richtlinie 96/71/EG und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1024/2012 über die Verwaltungszusammenarbeit mithilfe des Binnenmarktinformationssystems.
3 Angesichts der geringen Zahl der befragten Unternehmen macht Prognos hinsichtlich der Aussagekraft Vorbehalte. Aus anderen Quellen, z. B. der IHK Region Stuttgart, ist zu erfahren, dass die Aufwände insbesondere bei erstmaligen Meldungen noch deutlich höher liegen können.

4 „Reiner Anmeldevorgang“ heißt, dass lediglich die Eingabe in die Anmeldemaske gemeint ist, als z. B. nicht die Zeit, sich in die Anmeldevoraussetzungen einzuarbeiten.
5 siehe Fußnote 4.

Seite 1
| Weiter zu Seite 2 | Weiter zu Seite 3


Bild: Adobe Stock / doganmesut