Digital kompetent Bürokratie bewältigen

Die Versuchsgruppen, bei denen Red Tape digital transportiert wird, weisen gleichzeitig geringe Werte im Bereich des Copings durch Unterstützung auf. Das heißt, Mitarbeitende würden seltener um Hilfe bitten, um die Probleme mit diesem Prozess zu lösen. Gleichzeitig zeigt die Befragung, dass ältere Mitarbeitende ihre digitalen Kompetenzen deutlich geringer einschätzen. Eine mögliche Erklärung könnte sein, dass Mitarbeitende Angst vor Ansehensverlust haben, wenn sie scheinbar zugeben, Probleme mit einem digitalen Prozess zu haben. Auch Führungskräfte sind skeptischer in Bezug auf die eigenen digitalen Kompetenzen.

Weiterhin konnte gezeigt werden, dass Mitarbeitende, die selbstbestimmt arbeiten können und denen mehr Einfluss auf die eigene Arbeitsgestaltung gewährt wird, sich seltener mit der Situation abfinden. Ältere Mitarbeitende hingegen neigen dazu, sich nicht einfach nur mit der Situation abzufinden. Vielmehr hören sie völlig damit auf, sich dem Problem zu stellen. Auch planendes, auf die Zukunft ausgerichtetes Verhalten ist bei älteren Mitarbeitenden seltener zu finden, wenn es darum geht, mit Red Tape umzugehen. Mögliche Erklärungsansätze könnten darin begründet liegen, dass ältere Mitarbeitende am Ende ihrer beruflichen Laufbahn nicht mehr aktiv in die Optimierung von Prozessen eingreifen möchten. Sie könnten glauben, dass der Aufwand nicht mehr lohne und sich für sie nicht mehr auszahle. Außerdem könnten negative Erfahrungen in der Vergangenheit zu Resignation und letztlich solcher Verdrängung geführt haben.

Interessanterweise tritt der Coping-Stil in Form von Akzeptanz, sich mit dem Auftreten von Red Tape abzufinden, unter Mitarbeitenden des mittleren Dienstes seltener auf. Vergangene Forschung hat zudem ermittelt, dass Führungskräfte Red Tape weniger Bedeutung zumessen als Beschäftigte im mittleren Dienst. Diese seien stärker fremdbestimmt, ineffiziente und unnötige Prozesse und Regeln entfalten demnach eine größere Wirkung auf diese Beschäftigtengruppe, weshalb sie sich wahrscheinlich seltener mit solchen Unzulänglichkeiten abfinden möchten.

Des einen Red Tape, ist des anderen Sicherheitsnetz

Da Red Tape ein perzeptuelles, subjektives Konzept ist, kann es auch keine generelle Empfehlung zur Gestaltung von Prozessen und Regeln geben. Vielmehr muss jede Organisation individuell die eigenen Rahmenbedingungen betrachten und vor allem die eigene Belegschaft mitnehmen, denn des einen Red Tape ist des anderen regulatorisches Sicherheitsnetz. Da insbesondere der mittlere Dienst von unnötiger Bürokratie betroffen ist und sich auch mit dieser nicht abfinden möchte, sind Führungskräfte und Amtsleitungen aufgefordert, aktiv auf die Beschäftigten zuzugehen und mit ihnen zusammen Prozess­optimierungen vorzunehmen.

Sorge bereiten sollte, dass eine überalterte Personalstruktur in der öffentlichen Verwaltung auf ein in der Tendenz geringeres Interesse in der älteren Alterskohorte trifft, sich aktiv an problemorientierten Bewältigungsformen zu beteiligen. Dies könnte Veränderungen insgesamt erschweren und zu einem sich selbsterhaltenden System der Ineffizienz führen. Hier muss der kurzfristige Nutzen von Verwaltungsmodernisierung herausgestellt werden, indem zuallererst sogenannte low-hanging-fruits der Prozessoptimierung unterzogen werden. Gleichzeitig gilt es, Ängste in Bezug auf Digitalisierung abzubauen. Auch Leitfäden und Hilfestellungen auf Abruf könnten dem Umstand Rechnung tragen, dass bei digitalem Red Tape Mitarbeitende vermutlich aufgrund der Sorge vor Ansehensverlust seltener geneigt sind, sich Unterstützung einzuholen.

Mehr Entfaltungsraum für mehr Engagement

Insgesamt ist festzuhalten, dass vor allem interne Bürokratie scheinbar zu einer Entfremdung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmenden führt und damit einen Beitrag dazu leistet, dass wir öffentliche Verwaltung mit Amtsschimmel und Bürokratie assoziieren. Die dargestellten Ergebnisse legen auch nahe, dass die angedeuteten positiven Aspekte in Bezug auf Veränderungsdruck eher nicht eintreten, sondern Führungskräfte vielmehr ermutigt werden sollten, ineffiziente Abläufe proaktiv zu verbessern. Auch wenn sie die eigenen digitalen Fähigkeiten eher kritisch bewerten, sind sie es, die digitale Veränderungsprozesse zum Erfolg führen (müssen). Dementsprechend braucht es auch eine bessere Förderung dieser Kompetenzen. Dass Beschäftigte im mittleren Dienst sich nicht einfach mit unnötiger Bürokratie abfinden möchten, sollte uns letztlich zuversichtlich stimmen: Sofern wir die Eigeninitiative der Mitarbeitenden stärken und ihnen mehr Raum zur Entfaltung bieten, kann hier ein Schatz stärkeren Engagements gehoben werden.

Zurück zu Seite 1 | zurück zu Seite 2 | Seite 3