Module und Baukastensystem
Wie werden die Daten zu Rechtsbegriffen dennoch fit für den digitalen Datenaustausch? Zuerst werden die Rechtsbegriffe in Module und Submodule zerlegt. Denn die verschiedenen Einkommensbegriffe folgen – trotz Detailunterschieden – weitgehend einer Systematik aus Modulen (Bezüge, freigestellte Bezüge, Erwerbsaufwendungen und private Aufwendungen) und deren Submodulen. Danach werden diese Begriffselemente rechtsgebiets- und rechtsbereichsübergreifend inhaltlich und sprachlich eindeutig bestimmt. Dabei gilt: Gleiches ist gleich und Ungleiches ungleich zu bezeichnen. Die so entstandenen (Sub-)Module können anschließend je nach fachlichem Kontext beliebig – wie im Baukastensystem – kombiniert werden. Durch Verweise und Teilverweise auf diese so definierten Einkommens(sub)module können andere Rechtsgebiete diese Bestandteile nachnutzen.

Ein Begriffsbestimmungsgesetz
Professor Ingwer Ebsen regte in einem Gutachten an, „im SGB I als alle Sozialleistungsbereiche übergreifenden Gesetz einen eigenen Abschnitt ‚Einkommen‘ zu schaffen“.(10) Ich gehe weiter. Es sollte ein rechtsgebietsübergreifendes Begriffsbestimmungsgesetz geschaffen werden. In diesem Gesetz sollten alle Rechtsbegriffe einheitlich und modular definiert werden. Denn uneinheitliche (Rechts-)Definitionen von gleichen oder ähnlich klingenden Rechtsbegriffen sind im deutschen Recht häufig, z. B. Unternehmer, Arbeitnehmer, Wohnsitz, Kind (11), Gewinn (12). Auch weniger häufige Begriffe, z. B. Abnahmestelle (13), Schienenbahn / Eisenbahn (14), sollten Eingang ins Begriffsbestimmungs­gesetz finden. Die einzelnen (Fach-)Gesetze können dann auf das Begriffsbestimmungsgesetz verweisen. Dieses übergeordnete Gesetz nimmt dem Legisten die Arbeit ab, im Fachgesetz den Rechtsbegriff regeln zu müssen. Es zwingt ihn aber auch, genau zu prüfen, ob und inwieweit Abweichungen vom Regelfall wirklich erforderlich sind. Nur wenn es unbedingt nötig ist, können im Fachgesetz Abweichungen – eigene (Sub-)Module – definiert werden.

Inhaltliche Anschlussfähigkeit der Daten für sinnvollen Datenaustausch
Die Minijob-Zentrale verfügt als zuständige Einzugsstelle über die Daten zum Minijob. Dies sind neben Namen, Adresse, Rentenversicherungsnummer des Minijobbers auch die Daten zum Zeitraum der Beschäftigung und zur Höhe des monatlichen Arbeitsentgeltes.(15) Das Arbeitsentgelt liegt regelmäßig kalendermonatsgenau vor. Nicht selten gehen Eltern vor oder während ihres Elterngeldbezuges einem Minijob nach. Um Auskünfte beim Minijobber und aufwendige Nachberechnungen zu vermeiden, bietet sich ein Datenaustausch zwischen Minijob-Zentrale und Elterngeldstelle an.

Wird die Tätigkeit nach der Geburt des Kindes voll ausgesetzt, so ist das Einkommen im Bemessungszeitraum maßgeblich. Der Bemessungszeitraum ist entweder zwölf Kalendermonate vor dem Monat der Geburt des Kindes oder grundsätzlich das letzte abgeschlossene Kalenderjahr. Die Minijob-Zentrale hat damit sowohl in sachlicher, personeller und zeitlicher (16) Hinsicht die Angaben zum Arbeitsentgelt des Minijobs, den die Eltern­geldstelle für die Festsetzung des Elterngeldes in Bezug auf den Bemessungszeitraum benötigt. Wird die Tätigkeit nach der Geburt nur teilweise ausgesetzt, ist für die Festsetzung des Elterngeldes das Einkommen im Bezugszeitraum entscheidend. Dadurch, dass sich der Bezugszeitraum (17) für das Elterngeld an dem Tag der Geburt des Kindes orientiert, benötigen die Elterngeldstellen regelmäßig vom Kalendermonat abweichende Angaben zum Arbeitsentgelt. Nicht jedes Kind wird am Ersten eines Monats geboren. Durch die zeitlichen Divergenzen können daher die Elterngeldstellen die Daten der Minijob-Zentrale nur eingeschränkt für den Bezugszeitraum nutzen.
Der verfahrensübergreifende Daten­­austausch setzt die inhaltliche Anschlussfähigkeit der Daten voraus. Diese semantische Inter­operabilität bedeutet, dass die im Datenfeld enthaltenen Informationen der liefernden Stelle in sachlicher, zeitlicher und personeller Hinsicht identisch mit den Erfordernissen der nachnutzenden Stelle sein müssen.

Daten-Matching
Um Verwaltungleistungen niedrig­schwellig und effizient anzubieten, ist die Vernetzung der Daten wichtig. Um die knapp 600 der beim Onlinezugangs­ge­setz zu digitalisierenden Verwal­tungs­leistungen (18) gemäß Level 4 des Reifegradmodells (19) mit Rückgriff auf digitale Datenbestände abzubilden, bedarf es neben der rechtlichen Harmonisierung eines Matchings der Rechtsbegriffe mit ihren (Sub-)Modulen auf die vorhandenen Datenquellen mit ihren Datenfeldern und -sätzen. Der Datenaustausch ist trotz gleicher verfahrensübergreifender Begriffsdefinition und -verwendung erschwert, wenn z. B. ein datennachnutzendes Fachverfahren die Höhe der Vorsorgeaufwendungen benötigt, das datenliefernde Fachverfahren zu den Vorsorgeaufwendungen aber nur die Informationen aus einem ja-nein-Feld zur Verfügung stellen kann. Sofern solche Abweichungen bestehen, müssen ggf. Datenquellen mit ihren Datenfeldern nachjustiert werden. Erst die semantische Eindeutigkeit und die Passgenauigkeit von Recht und Technik ermöglichen es, dass Register und Fachverfahren auf verfahrensübergreifende, eindeutige Datenfelder zugreifen können. Dieser Ansatz des standardisierten Baukastensystems lässt sich auf andere Rechtsbegriffe, wie z. B. den Begriff des Kindes, übertragen.



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10 Ebd., S. 16 Rz. 57.
11 Vgl. NKR (Hg.), 2021, S. 11 ff.
12 § 4 Abs. 1 Satz 1 sowie § 4 Abs. 3 Satz 1 Einkommensteuergesetz; § 242 Abs. 2 Handelsgesetzbuch.
13 § 64 Abs. 6 Nr. 1 Erneuerbare-Energien-Gesetz, § 2 Nr. 1 Stromnetzentgeltverordnung.
14 § 3 Nr. 40 Erneuerbare-Energien-Gesetz: Schienenbahn: jedes Unternehmen, das zum Zweck des Personen- oder Güterverkehrs Fahrzeuge wie Eisenbahnen, Magnetschwebebahnen, Straßenbahnen oder nach ihrer Bau- und Betriebsweise ähnliche Bahnen auf Schienen oder die für den Betrieb dieser Fahrzeuge erforderlichen Infrastrukturanlagen betreibt; § 2 Nr. 1 Allgemeines Eisenbahngesetz: Eisenbahn: öffentliche Einrichtungen oder privatrechtlich organisierte Unternehmen, die Eisenbahnverkehrsdienste erbringen (Eisenbahnverkehrsunternehmen) oder eine Eisenbahninfrastruktur betreiben (Eisenbahninfrastrukturunternehmen).
15 Mini-Job-Zentrale: Haushaltsscheck-Formular, online: https://www.minijob-zentra-le.de/SharedDocs/Downloads/DE/Formulare/privat/01_haushaltsscheck_19904_version_08.html?nn=700998 (PDF-Datei, 252 KB; abgerufen am 26.07.2021).
16 Zeitlich bezieht es sich nicht auf die Datenverfügbarkeit der datenliefernden Stelle, sondern auf den zeitlichen Bezugspunkt der Daten. Die zeitliche Verfügbarkeit kann ebenfalls dazu führen, dass ein Datenaustausch wenig sinnvoll ist, insbesondere dann, wenn die datenliefernde Stelle die Daten nur mit einem deutlichen Verzug entgegen den Erfordernissen der potenziell datennachnutzenden Stelle zur Verfügung stellen kann.
17 Der Elterngeldanspruch ist u. a. abhängig von der Höhe der im Bemessungs- als auch der im Bezugszeitraum erzielten Einkünfte. Vgl. NKR (Hg.) 2021, ebd., S. 42.
18 Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat: Onlinezugangsgesetz, online: https://www.bmi.bund.de/DE/themen/moderne-verwaltung/verwaltungsmodernisierung/onlinezugangsgesetz/onlinezugangsgesetz-node.html (abgerufen am 26.07.2021).
19 Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat: Was ist das Reifegradmodell?, online: https://www.onlinezugangsgesetz.de/Webs/OZG/DE/grundlagen/info-ozg/info-reifegradmodell/info-reifegradmodell-node.html (abgerufen am 26.07.2021).