Aus dem Maschinenraum der Digitalisierung: AWV-Interview mit Dr. Markus Richter, BMI-Staatssekretär und Bundes-CIO

Staatssekretär Dr. Markus Richter ist Beauftragter der Bundesregierung für Informationstechnik und derzeit auch Vorsitzender des IT-Planungsrates. Nach etwas mehr als 100 Tagen im Amt sprach die AWV mit ihm über seinen 9-Punkte-Plan für ein digitales Deutschland und den durch die Corona-Krise ausgelösten Digitalisierungsschub in der öffentlichen Verwaltung. Zusätzliche Schwerpunkte des Interviews liegen auf dem OZG-Digitalisierungsprogramm und dem im IT-Planungsrat beschlossenen Koordinierungsprojekt "Registermodernisierung".

Sehr geehrter Herr Staatssekretär Dr. Richter, seit Mai dieses Jahres sind Sie Staatssekretär im Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat und Beauftragter der Bundesregierung für Informationstechnik. Im Juli haben Sie bereits einen „9-Punkte-Plan für ein digitales Deutschland“ vorgelegt. Neben den Themen „Digitale Gesellschaft“ und „Cyber-Sicherheit“ liegt der Schwerpunkt auf der Verwaltungsmodernisierung durch umfassende Digitalisierung. Wo sehen Sie den vordringlichsten Handlungsbedarf? Welche besonderen Herausforderungen sind damit verbunden?
In den Gesprächen mit meinen Kolleginnen und Kollegen im Bundesinnenministerium ist mir schnell klargeworden: Ich bin hier im Maschinenraum der Digitalisierung angekommen. Ob Digitale Gesellschaft, Digitale Verwaltung oder Cybersicherheit – kein anderes Ressort bündelt so viele Kompetenzen im digitalen Bereich wie das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI). In den kommenden 18 Monaten wollen wir spürbare Fortschritte bei der Digitalisierung erzielen. Dazu haben wir die aus unserer Sicht neun wichtigsten Punkte in einem Digitalisierungsplan zusammengestellt. Wir priorisieren Projekte, die konkrete Ergebnisse produzieren: Dicke Bretter wie die OZG-Umsetzung, aber auch ganz konkrete Meilensteine wie der Aufbau einer Digitalakademie zur Qualifizierung der Beschäftigten, Optimierungen beim Online-Ausweis oder die flächendeckende Einführung von E-Rechnung und E-Akte. Unser Antrieb ist, die Menschen vom Mehrwert der Digitalisierung zu überzeugen. Das gelingt nur, wenn wir ihre Vorteile möglichst schnell greifbar machen.

In gut zwei Jahren soll das Onlinezugangsgesetz (OZG), das die Digitalisierung aller Verwaltungsleistungen von Bund, Ländern und Kommunen vorsieht, umgesetzt sein. Dies schafft einen hohen Umsetzungsdruck in der öffentlichen Verwaltung. Wie wird sichergestellt, dass Synergien genutzt werden und es beispielsweise nicht zu Parallelentwicklungen innerhalb des föderalen Kontextes kommt? Gibt es bereits positive Beispiele zur Skalierbarkeit und Nachnutzung digitaler Verwaltungsleistungen?
Das OZG gibt uns mit Ende 2022 eine sehr ambitionierte Frist vor. Eine flächendeckende Digitalisierung der Verwaltung kann und wird uns bis dahin nur gelingen, wenn sinnvoll Arbeitspakete aufgeteilt werden. Wir haben daher mit dem OZG-Umsetzungskonzept frühzeitig ein effizientes, arbeitsteiliges Vorgehen in den zwei Digitalisierungsprogrammen Bund und Föderal beschlossen. Die Zuordnung der Verwaltungsleistungen zu Lebens- und Geschäftslagen und Themenfeldern stellt von Beginn an die Weichen für eine effiziente, arbeitsteilige OZG-Umsetzung. Ziel ist, dass jede Leistung nur einmal digitalisiert werden muss, und dann von allen anderen Ländern "nachgenutzt" werden kann. Ich stehe daher voll und ganz hinter diesem "Einer für Alle"-Prinzip. Das ist meiner Meinung nach der einzige Weg für eine effiziente und flächendeckende Umsetzung nutzerfreundlicher Leistungen. Dieses Prinzip spart Zeit und Kosten und soll Parallelentwicklungen in den Ländern verhindern.

Ein positives Beispiel für Nachnutzung ist die Leistung "Überbrückungshilfen für kleine und mittelständische Unternehmen", über welche Unternehmen, die ihren Geschäftsbetrieb im Zuge der Corona-Pandemie einstellen oder stark einschränken mussten, weitere finanzielle Hilfen erhalten können. Diese Leistung wurde in nur drei Wochen im Expressverfahren im Themenfeld Forschung & Förderung digitalisiert und wird nun von allen Bundesländern eingesetzt. Die Bundesregierung hat die Notwendigkeit einer digitalen Verwaltung erkannt und stellt mit dem Konjunkturpaket für die zügige OZG-Umsetzung zusätzliche 3 Mrd. Euro zur Verfügung. Der IT-Rat hat beschlossen, dass der Einsatz der Mittel dabei nach der "Einer für Alle"-Methode erfolgen soll. Das Bundesprogramm wird geringfügig ausgeweitet, die Steuerung der Umsetzung obliegt den zuständigen Ressorts. Das schafft die Voraussetzung, dass die Mittel aus dem Konjunkturprogramm dort wirksam werden,
wo sie am dringendsten benötigt werden.

Sie haben Ihr Amt zu einer Zeit angetreten, in der man coronabedingt einen Digitalisierungsschub beobachten konnte. Welche Chancen für die digitale Transformation der öffentlichen Verwaltung gehen für Sie mit dieser Krise einher? Sehen Sie dadurch Veränderungen angestoßen, die auch langfristig wirksam bleiben werden?
Die Corona-Pandemie hat uns vor Augen geführt, wie enorm wichtig eine digitale Verwaltung ist. Der Ausbruch machte es erforderlich, soziale Kontakte so weit wie möglich zu reduzieren, um Menschenleben zu schützen. Dies betrifft natürlich auch den persönlichen Kontakt zur öffentlichen Verwaltung. Gleichzeitig müssen aber die Erreichbarkeit der Verwaltung sowie die Erbringung staatlicher Leistungen auch in Krisenzeiten gewährleistet werden. Digitale Prozesse sind in der Krise daher notwendig, um das Land am Laufen zu halten. Bürgerinnen, Bürger und Unternehmen sind darauf angewiesen, ihre Leistungsanträge schnell, kontaktlos und von zuhause aus stellen zu können. Die beschleunigte Bereitstellung digitaler Angebote und damit die priorisierte Umsetzung des OZG sind dringender denn je.

Im OZG-Digitalisierungsprogramm haben wir daher schnell auf die Krise reagiert: Corona-relevante Verwaltungsleistungen, darunter Sozialleistungen wie ALG II oder gesundheitsrelevante Leistungen wie Infektionsschutzmaßnahmen, wurden identifiziert, priorisiert und in der Umsetzung beschleunigt.

Parallel zu den Corona-bedingten Beschleunigungsmaßnahmen läuft die Verwaltungsdigitalisierung natürlich regulär weiter. Die rise hat viele Prozesse beschleunigt, die zusätzlichen Finanzmittel aus dem Konjunkturpaket geben uns jetzt noch mehr Rückenwind. Dabei ist die Krise auch eine enorme Chance für die Verwaltung auf dauerhafte Verbesserung. Denn nicht nur Bürgerinnen und Bürger profitieren von digitalen Verfahren, auch die Verwaltung selbst spart durch automatisierte  Bearbeitungsschritte Zeit und Kosten und gewinnt enorm an Effizienz. Die Bearbeitung kann somit deutlich schneller und auch ortsunabhängig, nämlich bei Bedarf aus dem Home-Office heraus, erfolgen.

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