Bürokratie, fehlende Digitalisierung und zu restriktive Vorschriften für den Datenschutz werden meistens als Hemmnisse für die Verwaltungsdigitalisierung in Deutschland genannt. Immer wieder wird in diesem Zusammenhang auch die Frage nach der Verwaltungskultur aufgeworfen. Welche Zielbilder wünschen Sie sich für die öffentliche Verwaltung? Und wie können wir diese in die deutsche Verwaltungskultur integrieren?

Ich denke, einige Handlungsorientierungen, Wahrnehmungs- und Verhaltensmuster – so wird ja Verwaltungskultur im weiteren Sinne definiert – müssten sich an veränderte Handlungsrealitäten und Herausforderungen besser und schneller anpassen. Dazu gehört zum einen – neben der Rechts- und Regelorientierung, die auf formale Korrektheit schaut – ein stärker handlungspragmatisches Verwaltungsverständnis in Situationen, die dieses erfordern und zulassen. Selten ist der Verzicht auf Pragmatismus und auf die Nutzung von Handlungsspielräumen bei Verwaltungsentscheidungen rechtlich bedingt, sondern er liegt in einer restriktiven, teils übervorsichtigen Entscheidungskultur, in entsprechenden Arbeitsroutinen, Selbstwahrnehmungen der Beamten und in fehlenden Anreizen begründet. Letzteres ist auch eine Frage des Führungsverhaltens, das hier stärker ermutigen und auch eine andere Fehlerkultur befördern (und belohnen) müsste, was natürlich nicht heißt, dass wir jetzt massenweise rechtswidrige Verwaltungsakte tolerieren wollen. Aber es sollte möglich und gewünscht sein, gegebene Spielräume besser im Sinne von Problemlösungen zu nutzen, was gerade in Krisen- und Notlagen wichtig ist.

Dass die traditionellen hoheitlich-hierarchischen Strukturen der Verwaltung ein Hemmnis für agiles, responsives und stärker digitales Verwaltungshandeln sein können, ist schon lange bekannt und wird mindestens seit der New Public Management Diskussion der 1980er Jahre moniert. Zwar ist in diesem Bereich, vor allem in der Kommunalverwaltung, auch schon vieles in Bewegung gekommen. Dennoch zeigt sich nach wie vor eine Schwerfälligkeit in den Strukturen und Prozessen, was auch mit – wiederum kulturell eingebetteten – bürokratischen Arbeitsformen, hierarchischer Steuerung und vielfältigen Koordinationszwängen über Ebenen und Sektoren hinweg zu tun hat. Hier braucht es Vereinfachung und „Mut zur Lücke“; auch das müsste verstärkt in die Verwaltungskultur einfließen.

Last but not least möchte ich nochmals auf die qualifikatorische Zusammensetzung und Prägung der Verwaltung hinweisen, die einen erheblichen und vielleicht den wichtigsten „Kulturfaktor“ darstellt. Vor allem im ministerialen Bereich sollte die Verwaltung aus meiner Sicht stärker disziplinär diversifiziert werden, was auch eine Reform der Ausbildungsinhalte und Rekrutierungsmuster voraussetzt.

Frau vor dunklem Hintergrund freundlcih in die Kamera lächelnd(Foto: Phothothek/Trutschel)

 

Prof. Dr. Sabine Kuhlmann ist seit 2013 Mitglied des NKR und seit 2017 auch dessen stellvertretende Vorsitzende. Seit 2013 hat sie den Lehrstuhl für Politikwissenschaften, Verwaltung und Organisation an der Universität Potsdam sowie seit 2018 den Hedda Andersson Chair an der Universität Lund in Schweden inne. Sie forscht u. a. zu den Themen der Verwaltungsmodernisierung. Prof. Dr. Kuhlmann studierte Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin, wo sie auch promovierte. Nach ihrer Habilitation an der Universität Potsdam arbeitete sie an verschiedenen deutschen Universitäten, etwa an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer. Im NKR ist sie Berichterstatterin für das Bundesministerium des Innern und das Bundesministerium der Verteidigung.

 


Welche Herausforderungen und Erfolge haben Sie aus dem Jahr 2023 mitgenommen? Welche Themen stehen für das Jahr 2024 Jahr auf der Agenda des NKR? 

Das Thema Planungs- und Genehmigungsverfahren war für den NKR im Jahr 2023 besonders wichtig. Hier würde ich es schon als großen Erfolg bewerten, dass so viele Vorschläge aus unserem Positionspapier in den Pakt aufgenommen worden sind. Uns steht jetzt aber ein herausfordernder Umsetzungsprozess bevor. Diesen werden wir als NKR eng begleiten. Gleichzeitig werden wir das Thema weiter forcieren: Zusammen mit dem Statistischen Bundesamt wird der NKR ein Projekt durchführen, bei welchem wir die Perspektive der Genehmigungsbehörden von Verfahren nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz in den Fokus nehmen. Es freut mich sehr, dass sich auch die AWV mit ihrer Projektgruppe engagiert in das Projekt einbringt.

Besorgniserregend sehe ich die Entwicklung beim Erfüllungsaufwand. Noch nie ist der Erfüllungsaufwand, also sind die Belastungen die bei Bürgerinnen und Bürgern, Wirtschaft und Verwaltung durch die Befolgung von bundesrechtlichen Vorschriften entstehen, so sehr gestiegen wie in diesem Jahr, was vor allem mit einzelnen besonders kostenintensiven Vorhaben zusammenhängt. Hier müssen wir ganz dringend zu einer Trendwende kommen. Dafür bräuchte es ein sehr ambitioniertes Bürokratieentlastungsgesetz IV. Da ist die Bundesregierung gerade dran. Es bleibt abzuwarten, ob das ausreicht, um zu einer spürbaren Entlastung zu kommen.

Unabhängig davon braucht es aus meiner Sicht einen langfristigeren und stärker systematischen Ansatz. Als NKR haben wir deshalb vorgeschlagen, die Belastungsbremse „One in one out“ wirksamer auszugestalten. Der größte Hebel, um Bürokratie abzubauen, liegt in der Digitalisierung von Verfahren und Prozessen. Die Verwaltungsdigitalisierung geht in Deutschland aber weiterhin zu langsam voran. Das Thema wird also auch in den nächsten Jahren ganz oben auf der Agenda des NKR stehen. Mit der Einführung des Digitalchecks hat die Bundesregierung einen Schritt getan, der einen wichtigen Beitrag leisten kann. Hier wird es nach dem ersten Jahr Digitalcheck aber darauf ankommen, dass die Ressorts diesen auch so anwenden, wie er gedacht ist: Also in frühen Phasen des Gesetzgebungsverfahrens über die Digitaltauglichkeit des Rechts nachdenken, bevor erste Paragraphen geschrieben werden. Darüber hinaus ist dieses Jahr entscheidend, dass die Verwaltungsdigitalisierung stärker mit der Registermodernisierung verzahnt und entsprechende Reformen ambitioniert vorangebracht werden. Der NKR wird weiter Vorschläge an die Bundesregierung machen, um dazu einen Beitrag zu leisten.


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