Im Deutschland-Pakt wird auch der Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) für die Beschleunigung der Verfahrensschritte genannt. Weshalb diskutieren wir bereits über Potenziale von KI, wenn wir noch keinen einheitlichen technischen Rahmen innerhalb unserer Verwaltungsebenen besitzen?

Sie haben recht. Gerade bei der Vollzugsdigitalisierung lassen sich in dem Pakt zu wenige konkrete Maßnahmen erkennen. Schlagworte wie „künstliche Intelligenz“ lesen sich zwar gut adressieren, aber nicht die tatsächlichen Herausforderungen, vor denen wir aktuell stehen. Wir sollten hier nicht den zweiten Schritt vor dem ersten machen.

Es fehlen Schnittstellen genauso wie gemeinsame Software- und Cloudlösungen. Hier sollten wir den Fokus zuerst auf die technischen und rechtlichen Voraussetzungen legen. Ansonsten scheitert die Digitalisierung bereits an den „Basics“. Damit die Verwaltungsdigitalisierung ganzheitlich gelingen kann, müssen Digitalisierung und Standardisierung eng zusammengedacht werden. Sonst setzen sich die Probleme bei der Kompatibilität digitaler Anwendungen fort. Das hat Medienbrüche zur Folge, sodass Digitalisierungspotenziale mit Blick auf die Arbeitsentlastung nicht hinreichend ausgeschöpft werden. Der NKR betont deshalb seit Jahren, dass es ein Standardisierungsregime für die einheitliche Festlegung und flächendeckende Nutzung von Standards, Datenformaten und Schnittstellen braucht.

Dass der Beschleunigungspakt nun ein solches Standardisierungsregime beim IT-Planungsrat vorsieht, ist ein wichtiger Schritt. Dieses sollte nun schnell etabliert, verbindlich ausgestaltet sowie mit den notwendigen Ressourcen ausgestattet werden. Wenn uns die Etablierung eines einheitlichen technischen Rahmens gelingt, kann in einem nächsten Schritt dann möglicherweise auch weiteres Beschleunigungspotenzial durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz gehoben werden.

Unternehmen werden häufig als „Power-User des E-Government“ bezeichnet, da sie einen hohen Digitalisierungsgrad und viele Verwaltungskontakte haben. Sind Sie der Meinung, dass diese Position sich in der Ausrichtung der aktuellen Verwaltungsdigitalisierung ausreichend widerspiegelt?

Zunächst einmal würde ich zustimmen: Die Anzahl der Verwaltungskontakte von Unternehmen ist sicher höher als die von Bürgerinnen und Bürgern. Das Problem, dass die Digitalisierung zu sehr von einer überkommenen klassisch-bürokratischen Funktionsweise der Verwaltung gehemmt wird, betrifft jedoch beide Gruppen gleichermaßen. Unternehmen müssen, wie auch Bürgerinnen und Bürger, gewisse Standardinformationen immer wieder an die Verwaltung übermitteln. Das „Once-Only-Prinzip“ ist noch immer nicht in der Verwaltung angekommen. Dabei erweisen sich die föderale Aufgabenteilung bei der Verwaltungsdigitalisierung und die stark dezentral-fragmentierten Governance-Strukturen immer wieder als Hemmnisse. Den Nutzern ist es aber egal, auf welcher Verwaltungsebene sie einen Antrag stellen – sie interagieren mit „dem Staat“ und erwarten qualitativ hochwertige und auch zunehmend nutzerfreundliche digitale Services.

Um den Unternehmen also noch stärker in ihrer Rolle als Power User entgegenzukommen, müssten bei der Registermodernisierung erhebliche Fortschritte gemacht werden. Es braucht eine funktionierende Registerlandschaft als Grundvoraussetzung für bessere digitale Verwaltungsdienstleistungen. Und dennoch fehlt bei der Registermodernisierung ein föderales Zielbild – es gibt lediglich eine Reihe von kleinteiligen Einzelprojekten, verteilt über verschiedene Ressorts und föderale Ebenen.

In unserem diesjährigen Jahresbericht haben wir eine Landkarte der Registermodernisierung aufgezeichnet. Diese Visualisierung der Zusammenhänge zeigt die enorme Komplexität, mit der wir es hier zu tun haben. Nur wenn die Bundesregierung eine ganzheitliche Strategie bei der Registermodernisierung verfolgt, kann die Verwaltungsdigitalisierung vorankommen. Davon hängt auch der Erfolg des OZG 2.0 ab. Und nur dann kann dem Bedürfnis der Nutzenden, also Unternehmen, Bürgerinnen und Bürgern gleichermaßen, nach schlanken und effizienten Verwaltungsstrukturen nachgekommen werden.

Die rechtssichere Umsetzung von Regeln hat in der Verwaltungspraxis oberste Priorität. Es gibt die Befürchtung, dass wir uns als Land fast in den Stillstand regulieren. Wie kommen wir trotz „Dauerkrisenmodus“ in die Transformation?

Richtig, die deutsche öffentliche Verwaltung ist durch eine historisch gewachsene legalistische Kultur geprägt, in der korrekte Rechtsanwendung, Gerichtsfestigkeit von Entscheidungen und die formale Qualität des Handelns leitend sind. Es geht also darum, möglichst rechtssicher zu arbeiten und um beinahe jeden Preis zu verhindern, dass Verwaltungsakte aufgrund von Fehlern aufgehoben werden. Bis zu einem gewissen Grad ist das auch richtig und wichtig. Denn Bürokratie schützt auch vor Ungleichbehandlung und Willkür. Wir sind aber auf einem Niveau an Bürokratie angekommen, das inzwischen zunehmend die Handlungsfähigkeit der Verwaltung in Frage stellt und das auf der Vollzugsebene zu „autonomem Bürokratieabbau“ oder „pragmatischer Illegalität“ führt, weil rechtliche Regelungen nicht mehr entsprechend angewendet werden können. Daher muss zum einen die Regulierungskultur verändert, die Regelungsdichte und -volatilität reduziert und Bürokratieabbau als eine prioritäre Aufgabe verfolgt werden. Zum anderen muss sich aber auch die Verwaltungskultur ändern, da einer allein auf korrekte Rechtsanwendung fokussierten Arbeitsweise nicht ausreichen wird.

Die Herausforderungen der Zukunft lassen sich im Rahmen der gegebenen Ausbildungs-, Rekrutierungs- und Qualifikationsmechanismen für die öffentliche Verwaltung nicht angemessen bewältigen. Neben rechtlicher Expertise, die zweifelsohne nach wie vor essenziell ist, sind weitere Fachdisziplinen erforderlich, d. h., eine qualifikatorisch stärker diversifizierte Verwaltung, vor allem auf der Ministerialebene, da in nachgeordneten Behörden und in Kommunen bereits heute eine nennenswerte qualifikatorische Vielfalt vorhanden ist. Zudem müssten Verwaltungsbeschäftigte bereits in der Ausbildung verstärkt in Projektsteuerung, IT sowie in ökonomisch-manageriellen und sozialwissenschaftlichen Fragen geschult werden. Weitere Hebel wären, das Laufbahnsystem noch mehr zu flexibilisieren, den öffentlichen Dienst als Arbeitgeber attraktiver zu machen und etwa auch den Wechsel zwischen öffentlichem und privatem Sektor zu vereinfachen, was andere europäische Länder seit langem praktizieren. Insgesamt sollte die „Versäulung“, die vor allem die Bundes- und Landesverwaltung, aber durchaus auch die Vollzugsverwaltung in größeren Kommunalbürokratien kennzeichnet, aufgeweicht werden.

Das traditionelle Silodenken entlang von Ressortgrenzen und „Fachbruderschaften“ wird zunehmend dysfunktional, wenn es darum geht, neuartige, ressortübergreifende und querschnittsbezogene Problemlagen zu meistern, die sich nicht an den gegebenen Zuständigkeitsgrenzen orientieren.


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