Herr Brunzel, an welcher Stelle des Prozesses, den Frau Dr. Brock­mann gerade skizziert hat, stehen wir, und welche zusätzlichen Treiber braucht es möglicherweise, um schneller voranzukommen?

Marco Brunzel: Tatsächlich denken wir aktuell noch zu oft in den Kategorien der „Elektrifizierung“ bestehender Prozesse und Strukturen. Das Potenzial der neuen Technologien schöpfen wir erst dann aus, wenn wir auch mögliche neue Formen der Leistungserbringung in den Blick nehmen. Hier gilt es, neue plattformbasierte IT-Lösungen mit neuen organisatorischen Möglichkeiten zu kombinieren. Nur so erreichen wir die notwendigen Skaleneffekte, welche wir vor dem Hintergrund des demographischen Wandels dringend benötigen. Hier bieten sich vor allem die Prozesse zwischen Wirtschaft und Verwaltung an, da auf beiden Seiten der Schnittstelle in der Regel professionelle Akteure arbeiten. Unternehmen wollen keine Onlineformulare ausfüllen, sondern möglichst strukturierte, maschinenlesbare Daten austauschen, einmal vorhandene Daten sollen für weitere Verwaltungskontakte sowie für Melde-und Berichtspflichten nachgenutzt werden – und das Ganze möglichst medienbruchfrei und automatisiert, von Maschine zu Maschine. Für solch ein wirtschafts- bzw. branchenorientiertes E-Government braucht es aus unserer Sicht eine entsprechende konzertierte Aktion von Bund und Ländern.

Dazu vielleicht zwei Beispiele: Von einer digitalen Bau- und Planungsplattform, an die über die zwischenzeitlich sogar verbindlich vorgeschriebenen offenen Schnittstellen xBau/xPlanung alle unteren Baubehörden angeschlossen sind, würden bundesweit über 140.000 Architektinnen und Architekten, Ingenieurinnen und Prüfingenieure, Bauträger sowie Träger öffentlicher Belange sehr konkret profitieren – die ja bekanntlich nicht nur an einem Ort planen und bauen. Noch größere Potenziale ließen sich erschließen, wenn alle Unternehmen einer bestimmten Branche ihre Anträge mit der Verwaltung vollständig maschinell austauschen könnten, wie dies beispielsweise im Bereich des Breitbandausbaus denkbar wäre und bei der Konzeption der entsprechenden OZG-Lösung bereits mitgedacht wurde.

Doch um in diese „neuen“ Geschäftsmodelle öffentlicher Leistungserbringung zu wechseln, gilt es, bestehende Strukturen konstruktiv in Frage zu stellen. Das aktuelle Eckpunktepapier der Bundesregierung, welches mit dem Entwurf des OZG-Folgegesetzes beschlossen wurde, setzt hier erste Akzente. Die Bundesländer werden darin u.a. gebeten, darüber nachzudenken, für welche übertragenen Pflichtaufgaben zur Erfüllung nach Weisung oder Auftragsangelegenheiten ggf. eine Rückverlagerung an den Bund in Frage kommt oder zumindest eine zentrale IT-Plattform der Verwaltungscloud bereitgestellt werden soll. Insofern beschäftigen auch wir uns in der Projektgruppe mit der Frage, wie bei den raumbezogenen Genehmigungsverfahren eine intelligente föderale Zusammenarbeit aussehen könnte, um zentrale Plattformlösungen auf den Weg zu bringen. Hierbei sollte die Komplexität von IT-Plattformen nicht unterschätzt werden: Für die Orchestrierung einer Vielzahl von Nutzenden auf Seiten der Unternehmen wie auch der Verwaltung benötigt es eine klare Governance und IT-Architektur sowie verbindliche Standards, Schnittstellen und Basiskomponenten.

Frontalansicht Marco Brunzel Portrait Frontalansicht Dr. Christine Brockmann
Marco Brunzel, gelernter Stadt- und Regionalplaner (TU Berlin) sowie Verwaltungswissenschaftler, ist derzeit Gastdozent für Informatik an der Hochschule für Verwaltung und Recht (HWR) sowie Research Fellow am Stein-Hardenberg-Institut in Berlin. Dr. Christine Brockmann ist Senior Managing Expert bei PD -Berater der öffentlichen Hand GmbH und betreut Projekte im Geschäftsbereich Strategische Verwaltungsmodernisierung mit den Schwerpunkten Strategieentwicklung, Digitalisierung und Multi-Stakeholder-Management.


Eine Frage an Sie beide: Wo sehen Sie beide die Stärken der Projektgruppe und welche Aspekte möchten Sie besonders vorantreiben?

Dr. Christine Brockmann: Um die Frage zu beantworten, sollten wir mit der AWV beginnen. Seit fast 100 Jahren engagiert sich der Verein für den Abbau von Bürokratie und die Förderung wirtschaftlich effizienter Arbeitsweisen an den Schnittstellen zwischen Wirtschaft und Verwaltung. Dabei gehört es zur besonderen Erfolgsgeschichte der AWV, dass der Verein sich im Laufe der Zeit immer wieder mit sehr schwierigen und zunächst „unvorstellbaren“ Innovationen beschäftigt hat. Zu denken ist hier beispielsweise an den Ersatz der Lohnsteuerkarte aus Papier: Die AWV hat den elektronischen Abruf der Lohnsteuerabzugsmerkmale (ELStAM) maßgeblich vorangetrieben, so dass die vorher millionenfach verteilte Lohnsteuerkarte abgeschafft werden konnte.

Diese ausdauernde Herangehensweise motiviert auch uns beide zum Engagement für AWV und hat uns dazu bewogen, die Projektgruppe „Digitalisierung und Beschleunigung raumbezogener Genehmigungsverfahren“ ins Leben zu rufen. Die Unterstützung durch eine Vielzahl ehrenamtlicher Akteure aus Wirtschaft, Wissenschaft und Verwaltung bestärkt uns darin, dieses Thema nachhaltig fach- und ressortübergreifend voranzutreiben.

Marco Brunzel: Die aktuelle Zusammensetzung der Projektgruppe ist dabei eine besondere Stärke. Experten und Praktiker aus Wirtschaft und Verwaltung bringen ihr fachliches Know-how ein, um gemeinsam Win-Win-Lösungen zur Digitalisierung und Verwaltungsvereinfachung zu erarbeiten. Auf diese Weise lässt sich Nutzenorientierung und Praxisnähe von Anfang an gewährleisten.

Unser Ziel ist die Erarbeitung und Unterstützung konkreter Maßnahmen, so wollen wir etwa unter Berücksichtigung guter Praxisbeispiele einen Soll-Referenzprozess sowie einen Umsetzungsvorschlag für ein entsprechendes Modellprojekt erarbeiten. Für die Konkretisierung strategischer Ziele arbeiten wir mit Unternehmen, Verwaltungen und Verbänden im Rahmen der AWV als neutraler Plattform zusammen. Auf diese Weise können wir die Praxistauglichkeit und Akzeptanz neuer Lösungsansätze frühzeitig antizipieren. Und natürlich freuen wir uns auch über weitere Mitstreiter, die gemeinsam mit uns eine kontinuierliche Vereinfachung der Verwaltungsprozesse voranbringen wollen.

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Weiterführende Informationen zur Projektgruppe 1.2.1 „Digitalisierung und Beschleunigung raumbezogener Genehmigungsverfahren“ der AWV e.V. finden Sie hier: