Künstliche Intelligenz im Dienst der Justiz: Wie Klageschriften und andere Schriftsätze von KI-Systemen intelligent bearbeitet werden können

Ein Beitrag von Frank Richter (Landgericht Hanau), Jan Spoenle (Oberlandesgericht Stuttgart), Christian Metz und Eckard Schindler (beide IBM Deutschland GmbH)

Der Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI) in Gerichtsverfahren mag auf den ersten Blick aufgrund ethischer Fragen eine heikle Angelegenheit sein. In der Praxis jedoch zeigt sich das Gegenteil: Aufgrund der enormen Masse an Verfahren greifen erste Gerichte auf KI-gestützte Lösungen zurück, die auch von Anwältinnen und Anwälten bereits seit Jahren zur Transformation ihrer Arbeitsweise eingesetzt werden, insbesondere beim Erstellen von Klageschriften. Nun hilft KI auch den Gerichten, diese Dokumente intelligent zu bearbeiten.

Justizsystem unter Digitalisierungsdruck

Mit der gesetzlich verankerten Einführung der elektronischen Akte (eAkte) bis zum Jahr 2026 schien die Wegstrecke der Digitalisierung in der Justiz lange Zeit klar. Spätestens die Zeit der Pandemie hat deutlich vor Augen geführt, dass für die Gerichte an vielen Stellen dringender Handlungsbedarf besteht. „Die Justiz läuft Gefahr, den Anschluss in einer digitalen Gesellschaft zu verlieren“, so eine Kernaussage einer IBM Führungskräftebefragung mit hochrangingen Persönlichkeiten aus der Richterschaft.(1)

So findet beispielsweise eine digitale Kommunikation mit Bürgerinnen und Bürgern und Rechtssuchenden praktisch nicht statt. Während allerorts via E-Mail oder WhatsApp kommuniziert wird, sind in der Außenkommunikation der Justiz E-Mails gesetzlich nicht zugelassen. „Die Justiz wird im hohen Maße als altertümlich wahrgenommen“, so die Aussage eines Teilnehmers der Führungskräftebefragung.

Druck durch Massenklagen

Die Digitalisierung führt zudem auch zu einer Transformation des Rechtswesens, der sich der Justizapparat nicht mehr entziehen kann. Sogenannte Legal-Tech-Anbieter nutzen Automatisierungsvorteile der Digitalisierung für neue Geschäftsmodelle, um unter anderem Verbraucherrechte vor Gericht geltend zu machen (z. B. Fluggastrechte oder im Rahmen des „Dieselskandals“). Dadurch entstehen Massenverfahren, die einen immensen Arbeitsdruck in den Gerichten auslösen: „Man sieht sich tausenden, durch Computer erstellten Schriftsätzen gegenüber, während man in der Justiz an Verfahren festhält, die seit hundert Jahren gelten“, so ein Teilnehmer der oben genannten Studie. Dieses Arbeitsaufkommen lässt sich nur eingeschränkt durch manuellen Mehreinsatz abbauen: Das Risiko ist zu groß, dass man sich im Strudel von Fristversäumnissen verfängt. Dieser Massenverfahren kann man nur mit einer verstärkten Automatisierung der Schriftgutbearbeitung entgegentreten: „Wir brauchen eine Waffengleichheit mit den Legal-Tech-Anbietern“ lautete die Aussage eines Teilnehmenden der Führungskräftestudie.

Automatisierung der Schriftgutbearbeitung

Die Digitalisierung bringt der Justiz vor allem mehr Daten – allen voran durch die eAkte. Um diese Datenmengen und -inhalte zielgerichtet zu durchdringen und daraus einen Mehrwert zu generieren, ist Unterstützung durch sogenannte Kognitive Informationssysteme nötig. Dahinter verbirgt sich ein neues Technologieparadigma mit besonderen Fähigkeiten: Die Verarbeitung von strukturierten und unstrukturierten Daten, das Verständnis natürlicher Sprachen einschließlich der natursprachlichen Interaktion mit Menschen. Kognitive Systeme können durch den Einsatz von KI die Art und Weise, wie Menschen und Systeme interagieren, grundlegend verändern und die Möglichkeiten des Handelns erheblich erweitern. Sie bieten Assistenzfunktionen, indem sie tiefe Einblicke in die Domänen entwickeln und diese Informationen zeitnah, natursprachlich und zielgerecht zur Verfügung stellen.


1 Vgl. Eckard Schindler: Digitalisierung der Justiz: Der Druck steigt, IBM Newsroom, online. Das Whitepaper der Studie „Unter Digitalisierungsdruck. Die Justiz auf dem Weg ins digitale Zeitalter“ (PDF-Datei, 12 MB)  steht ebd. zum Download bereit.

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Bild: Adobe Stock / beeboys