Rückblick auf den E-Rechnungs-Gipfel 2023

Ein Beitrag von Gerhard Schmidt (rechnungsaustausch.org)

„Der spannendste E-Rechnungsgipfel seit Jahren!“ lautete das Resümee des Moderators des E-Rechnungs-Gipfels, Johannes von Mulert (Vereon AG). Auch die große Mehrheit der Anwesenden dürfte das ähnlich empfunden haben, denn seit einigen Monaten ist viel neuer Schwung in der Thematik, europäisch und national, was sich auch im Slogan der diesjährigen Tagung „ViDA und die E-Rechnung in Deutschland“ widerspiegelte. Die AWV und der AWV-Arbeitskreis 4.6 „Forum elektronische Rechnung Deutschland (FeRD)” waren erneut Partner der Veranstaltung, die am 12. und 13. Juni 2023 in Berlin stattfand. Mehrere Experten aus dem FeRD beteiligten sich an Diskussionsrunden: Andreas Michalewicz (Hessisches Ministerium der Finanzen sowie stv. Leiter des FeRD und Leiter des Competence Center 1 „Kommunikation Wirtschaft und Verwaltung”) diskutierte mit anderen Fachleuten über „ViDA als Blaupause für eine erfolgreiche flächendeckende Einführung der E-Rechnung in Deutschland”. FeRD-Leiter Ivo Moszynski moderierte das Mittelstands-Panel mit Augenmerk auf der Fragestellung „Welche besonderen Anforderungen hat der Mittelstand im Zuge der Einführung der verpflichtenden E-Rechnung?”. Daniel Vinz (AWV-Fachreferent für digitale Standards) stellte „Deliver-X: Fortschritte bei der Digitalisierung der Supply Chain” vor.

Hintergründe

Im Dezember 2022 veröffentlichte die EU-Kommision im Rahmen der Initiative „VAT in the Digital Age (ViDA)“ einen Vorschlag für eine Richtlinie, die auf dem Hintergrund der Bekämpfung von Umsatzsteuerbetrug als einen von drei Punkten Mehrwertsteuermeldepflichten und elektronische Rechnungsstellung enthält. National hat das Bundesfinanzministerium im April 2023 einen Diskussionsvorschlag präsentiert, der sich einerseits auf ViDA bezieht, andererseits auf den Koalitionsvertrag der aktuellen Regierung, in dem die schnellstmögliche Einführung eines elektronischen Meldesystems festgeschrieben ist, das für die Erstellung, Prüfung und Weiterleitung von Rechnungen verwendet werden soll.

Breite Diskussion

Was folgt aus diesen Regelungsvorhaben für die Wirtschaft? Was muss die öffentliche Verwaltung noch leisten? Diese Fragen wurden im Rahmen des E-Rechnungs-Gipfels in Vorträgen, Diskussionsrunden und Roundtables von Fachleuten erörtert und vertieft. Darunter waren Expertinnen und Experten aus dem Bundesministerium der Finanzen (BMF), der Bundessteuerberaterkammer (BStBK), dem Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), dem Forum elektronische Rechnung Deutschland (FeRD), dem Französischen Forum für E-Rechnung (FNFE-MPE), dem Handelsverband Deutschland (HDE), dem Hessischen Ministerium der Finanzen, dem Institut für Digitalisierung im Steuerrecht (IDSt), der Koordinierungsstelle für IT-Standards (KoSIT), OpenPeppol, dem Verband elektronische Rechnung (VeR), dem Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) sowie Expertinnen und Experten aus verschiedenen Unternehmen. Sie kamen zu folgenden Erkenntnissen und Ergebnissen:

Was hält die Wirtschaft von einer Pflicht zur E-Rechnung?
Die Pflicht zur E-Rechnung wurde weitgehend begrüßt, hängt Deutschland doch gegenüber anderen Ländern wie Italien oder Frankreich hier um Jahre zurück. Und gerade die E-Rechnung ist Schlüssel zur Digitalisierung der Wirtschaft. Kritik kommt insbesondere von Seiten der kleinen und kleinsten Unternehmen. Viele von diesen haben in den letzten Jahren sehr leidvolle Erfahrungen mit den strengen fiskalischen (und kostspielig zu erfüllenden) Anforderungen an elektronische Kassen gemacht und fürchten Ähnliches nun auch bei der Pflicht zur E-Rechnung. Vom Grundsätzlichen ins Detail gehend zeigte sich aber doch noch erheblicher Diskussions- und Klärungsbedarf.

Können die Fristen eingehalten werden?
Gemäß ViDA soll ab 1. Januar 2028 für innergemeinschaftliche B2B-Umsätze die E-Rechnung zum verbindlichen Standard werden. In Deutschland wird diskutiert, die Pflicht zu E-Rechnung per 1. Januar 2025 auch für nationale Umsätze einzuführen. Am 1. Januar 2028 soll europäisch wie national ein Meldesystem an den Start gehen. DAX-Unternehmen wie Siemens oder BASF haben schon längst entsprechende Projekte aufgesetzt, fürchten aber trotzdem, Fristen nicht halten zu können. Von den kleineren Betrieben ist das Thema noch weit entfernt. Sollten die Fristen also auf spätere Termine gelegt werden? Die Erfahrung lehrt, dass viele Unternehmen erst wenige Monate, bevor es ernst wird, aktiv werden. Eine Verschiebung um ein Jahr würde für diese also keinen Vorteil bedeuten. Es könnte also durchaus darauf hinauslaufen, dass an den Fristen nicht gerüttelt wird, doch über eine Nichtbeanstandungsregelung Druck von den Unternehmen genommen wird.

Welchen Umfang sollten die strukturierten Rechnungsdaten haben?
Sowohl in ViDA als auch im Diskussionsvorschlag des BMF wird die europäische Norm für eine Kernrechnung (EN 16931) adressiert. Diese Norm wurde zwar im Hinblick auf Rechnungen an die öffentliche Verwaltung geschaffen, sie passt jedoch genauso für B2B-Umsätze. Die europäische Rechnungsnorm ist ein Modell der Kernelemente einer elektronischen Rechnung. Reicht dieser Kern aus, um der allgemeinen E-Rechnungspflicht nachzukommen oder sollte das Datenmodell um zusätzliche Elemente erweitert werden? Ein Opt-out-Modell könnte hier eine Lösung sein, wenn sich Unternehmen bilateral darauf einigen, ihre Rechnungen beispielsweise per EDI auszutauschen, vorausgesetzt, die Meldedaten an den Fiskus haben das geforderte Format.

Was ist mit komplexeren Rechnungsfällen?
Einfache Rechnungen an den Fiskus zu melden, ist unproblematisch. Doch wie sieht es mit komplexeren Fällen aus? In Frankreich wurden bislang 35 derartige Fälle zusammengetragen. Gibt es diese auch in Deutschland? Ist diese Liste überhaupt vollständig? Beispiele hierzu sind etwa Rechnungen, die nicht vom Rechnungsempfänger bezahlt werden, sondern durch einen Dritten. Oder Rechnungen, denen eine Bestellung durch einen Dritten im Auftrag des Käufers vorausging.

Welche Daten sind an den Fiskus zu melden?
Das Datenmodell der europäischen Norm enthält mehr Daten, als der Fiskus in einem Meldesystem benötigt, um Kontrollen zur Verhinderung von Umsatzsteuerdelikten durchzuführen. Die bisherigen Pflichtangaben auf Rechnungen werden sicher dazugehören. Doch welche weiteren (IBAN, Zahlungsfrist etc)?

Wie werden Rechnungsdaten an den Fiskus gemeldet?
Modelle dafür, wie die zu meldenden Daten vom Rechnungssteller zur Finanzverwaltung kommen, gibt es verschiedene: In Italien werden die Rechnungen an eine zentrale staatliche Stelle geschickt. Frankreich kennt ein dezentrales Modell, in das zertifizierte Dienstleister eingebunden sind. Deutschland hat aufgrund seines späten Starts den Vorteil – und nutzt diesen auch – diese Modelle auf ihre Praxistauglichkeit und Zukunftsfähigkeit zu untersuchen und sich entsprechend zu entscheiden. Es wird wohl ein an Frankreich angelehntes Modell mit Dienstleistern werden. Ein (kostenloses) Dienstleistungsangebot beschränkt auf Basisfunktionen soll es vom Staat geben, um insbesondere die kleinen Unternehmen mit geringen Rechnungsvolumina niedrigschwellig zu integrieren.

Wer kümmert sich um die zu klärenden Punkte?
Hier ist insbesondere das Bundesfinanzministerium gefordert. Die Wirtschaft benötigt rechtzeitig Planungssicherheit, um zunächst die E-Rechnungspflicht erfüllen und sich dann auf das Meldesystem vorbereiten zu können. Hier sollten zeitnah vom BMF die Pflöcke eingeschlagen werden. Die grundsätzliche Bereitschaft seitens der Finanzverwaltung ist da, mit der Wirtschaft in engen Austausch zu treten, damit ihrer Vorhaben möglichst reibungslos umgesetzt werden können und insbesondere die kleinen Unternehmen unkompliziert mitgenommen werden. Ein Indiz für dieses Bemühen des BMF ist, dass nicht erst der Entwurf eines Gesetzes oder einer Verordnung in die Verbände- und Expertenanhörung gegeben wurde, sondern ein Diskussionsvorschlag, um bereits im Vorfeld des Gesetzgebungsverfahrens kritische Punkte zu identifizieren und Anregungen zu erhalten.

Was gab es sonst noch?
Erstmals waren auf dem E-Rechnungsgipfel die Berliner Steuergespräche zu Gast mit dem Thema „Die Mehrwertsteuer im digitalen Zeitalter“. Und als Muntermacher zum Start des zweiten Veranstaltungstages gab es unter der Überschrift „Die Maschine lebt: Master Hacks mit ChatGPT und anderen KI-Tools“, eine beeindruckende multimediale Demonstration dafür, was bereits heute für jedermann mit frei verfügbaren KI-Anwendungen machbar ist.

Wie geht es weiter?
Da die KI bis in einem Jahr vermutlich kaum in der Lage sein wird, Antworten und Lösungen für die zuvor skizzierten Frage- und Problemstellungen zu geben, führt am E-Rechnungsgipfel 2024 kein Weg vorbei. Er wird am 10. und 11. Juni 2024 in Berlin stattfinden.

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