Text: Frau Dr. Annette Icks, Institut für Mittelstandsforschung (IfM) Bonn
Jedes vierte mittelständische Unternehmen in Deutschland baut laut einer aktuellen Befragung des Instituts für Mittelstandsforschung (IfM) Bonn autonom Bürokratie ab – das heißt: Diese Unternehmen erfüllen bewusst einzelne bürokratische Erfordernisse nicht. Dieses Ergebnis erschreckt – schließlich fußt das demokratische System eines Landes maßgeblich auf Bürokratie, weil hierdurch beispielsweise Korruption verhindert werden kann.
Das Ergebnis überrascht aber auch, denn die Bundesregierung hat in den vergangenen Jahren viel unternommen, um die Bürokratiebelastung für die Wirtschaftsunternehmen zu senken: So wurde die „One-in-one-out“-Regel etabliert. Sie sieht vor, dass die Wirtschaftsunternehmen im Gegenzug zu jeder neuen bürokratischen Vorgabe an anderer Stelle entlastet werden müssen. 2006 wurde zudem der „Normenkontrollrat“ ins Leben gerufen. Dessen Aufgabe ist es, die Bundesregierung bei der Reduzierung der Bürokratiekosten zu unterstützen, die durch den sog. Erfüllungsaufwand entstehen. Und tatsächlich sinkt laut Bürokratiekostenindex des Statistischen Bundesamtes die Anzahl der Informations- und Dokumentationspflichten stetig.¹ Der Aufwand, den die Wirtschaftsunternehmen mit der Bürokratie verbinden, jedoch nicht.
Warum aber kommen die Bürokratieentlastungsmaßnahmen in den Wirtschaftsunternehmen nicht an? Wieso negieren so viele Wirtschaftsunternehmen bewusst bürokratische Vorgaben? Um auf diese Fragen konkrete Antworten zu finden, haben wir in einer wissenschaftlichen Studie erstmals nicht den messbaren Zeit- und Kostenaufwand von Bürokratie untersucht, sondern die generelle Bürokratiewahrnehmung der Unternehmen sowie ihren Umgang mit den bürokratischen Vorgaben.
Dafür führten wir zum einen Gespräche mit Vertretern von Kammern, Wirtschaftsverbänden, Wissenschaftsinstituten und des Normenkontrollrates. Zum anderen haben wir aber auch Vertreter von mittelständischen Unternehmen befragt. Das Kernergebnis unserer Studie: Die überwiegende Mehrheit der Befragten fasst den Bürokratie-Begriff deutlich weiter als die Politik, die den Begriff auf die Dokumentations- und Informationspflichten sowie auf den benötigten Erfüllungsaufwand beschränkt.
Dagegen zählt der Großteil der Wirtschaftsunternehmen auch halböffentliche Vorgaben von Selbstverwaltungsorganisationen der Wirtschaft, Normungsinstituten oder Berufsgenossenschaften dazu. Angesichts dieses unterschiedlichen Verständnisses wundert es nicht, wenn die Bürokratieentlastungsmaßnahmen der Bundesregierung in den Wirtschaftsunternehmen nicht als Entlastung wahrgenommen werden.
¹ Vgl. Statistisches Bundesamt: Bürokratiekostenindex. Online: https://www.destatis.de/DE/Themen/Staat/Buerokratiekosten/Buerokratiekostenindex/buerokratiekostenindex_.html (abgerufen am 10.09.2019).
Weitere Informationen
Den gesamten Beitrag von Dr. Annette Icks vom IfM Bonn finden Sie in der aktuellen Ausgabe unserer Zeitschrift AWV-Informationen, Ausgabe 5-2019.
Zur Pressemitteilung vom 20. August 2019.
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