Ein gemeinsames Anliegen von Destatis und der AWV ist – neben der Förderung der Verwaltungsdigitalisierung – auch der Abbau von Bürokratie. Destatis führt zu diesem Zweck eine Vielzahl an Erhebungen durch und stellt die Daten zur Verfügung. Welche Daten werden erhoben und warum sind sie so wichtig für den Abbau von Bürokratie?

Die systematischen Erhebungen des Statistischen Bundesamtes zu bürokratischen Belastungen begannen 2006 mit der Bestandsmessung der Bürokratiekosten der Wirtschaft aus Informationspflichten des Bundesrechts. Seitdem hat sich unser Portfolio kontinuierlich erweitert. Heute bearbeitet das Dienstleistungszentrum für Bessere Rechtsetzung im Statistischen Bundesamt rund ein Drittel aller Ex-ante-Schätzungen des Erfüllungsaufwands für Regelungsvorhaben der Bundesregierung. Dazu zählen beispielsweise die Strom- und Gaspreisbremsen oder die kürzlich beschlossene Legalisierung von Cannabis. Zwei bis drei Jahre nach Inkrafttreten wesentlicher Regelungen prüfen wir die tatsächlich eingetretenen Auswirkungen auf den Aufwand der betroffenen Bürgerinnen und Bürger, Unternehmen und Behörden. Zudem begleiten wir die Evaluierung von Regelungen, beraten die Ressorts zum Studiendesign und erheben Daten für die Ministerien. So haben wir beispielsweise landwirtschaftliche Betriebe online zu unfairen Handelspraktiken befragt. Unsere Lebenslagenbefragung von Bürgerinnen und Bürgern sowie Unternehmen zur Zufriedenheit mit der öffentlichen Verwaltung gibt Hinweise auf Probleme und zeigt Verbesserungsmöglichkeiten auf. Zudem erheben wir gezielt Daten zu Prozessen, Aufwand und Vereinfachungspotenzialen in bestimmten Rechtsbereichen wie beispielsweise zu den Möglichkeiten digitaler Gremienarbeit. Dabei machen wir unser Vorgehen stets transparent und veröffentlichen Methoden und Ergebnisse auf unserer Website. Aktuell unterstützen wir die Verbändeabfrage der Bundesregierung, bei der 57 Verbände insgesamt 442 Vorschläge für bürokratische Entlastungen eingereicht haben. Die Erhebungen und Analysen des Statistischen Bundesamtes liefern den politischen Entscheidungsträgerinnen und -trägern somit das notwendige Datenmaterial für einen systematischen und evidenzbasierten Bürokratieabbau.

Frau sitzend auf Stuhl, dreht sich nach hinten und schaut über die Lehne in die Kamera

Ruth Brand wurde 1967 in Lemgo geboren. Nach Studium und Promotion der
Wirtschaftswissenschaften in Hannover war sie als wissenschaftliche
Mitarbeiterin an der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg tätig.
Im Jahr 2001 folgte der Wechsel zum Statistischen Bundesamt, wo sie in der
Anonymisierung von statistischen Einzeldaten und der Landwirtschaftsstatistik
tätig war, bevor sie die Leitung der Abteilung „Gesundheit, Soziales, Bildung und
Private Haushalte“ übernahm. Von April 2020 bis Dezember 2022 leitete Brand
das Beschaffungsamt des Bundesinnenministeriums. Seit dem 1. Januar 2023
ist sie Präsidentin des Statistischen Bundesamtes und Bundeswahlleiterin.

 


Die Statistik auf europäischer Ebene – sprich: Eurostat – wird immer wichtiger. Das Statistische Bundesamt ist die deutsche Kontaktstelle zu Eurostat. Inwiefern wird Ihre Arbeit durch die Europäische Union mitbestimmt und was sind Punkte, die Ihnen auf EU-Ebene besonders am Herzen liegen?

Die internationale und vor allem europäische Zusammenarbeit gewinnt tatsächlich immer mehr an Bedeutung. In unserer globalisierten und immer komplexer werdenden Welt steigt der Bedarf an länderübergreifenden statistischen Informationen. Insbesondere durch internationale Zusammenarbeit und durch vergleichbare Statistiksysteme können wir die notwendigen Antworten auf zukunftsweisende Fragen geben. Das Statistische Bundesamt ist auf europäischer Ebene mit Eurostat und den nationalen statistischen Ämtern der Mitgliedstaaten im Rahmen des Europäischen Statistischen Systems (ESS) eng verbunden. Die Basis dafür ist vor allem die EU-Verordnung Nr. 223/2009 über europäische Statistiken, die den Rechtsrahmen für die Entwicklung, Erstellung und Verbreitung europäischer Statistiken, und somit eine Reihe von Aufgaben und Verantwortlichkeiten für das Statistische Bundesamt und für mich als Amtsleitung festlegt. In Deutschland ist das Statistische Bundesamt die einzige Kontaktstelle für Eurostat.

Darüber hinaus gibt es zahlreiche weitere Rechtsvorschriften und Verordnungen, die die Erhebung und Übermittlung von statistischen Daten an Eurostat regeln. Zusätzlich diskutieren wir in Gremiensitzungen des ESS regelmäßig auf fachlicher und strategischer Ebene über aktuelle Themen und neue Gesetzesvorhaben mit Bezug für die amtliche Statistik. Im Vordergrund stehen die Entwicklung und Bereitstellung qualitativ hochwertiger Statistiken, die relevant sind für die Umsetzung politischer Maßnahmen der EU in wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Themenfeldern.

Was mir besonders am Herzen liegt, ist die Reaktion der Statistik auf Krisen, neue Datenquellen verfügbar zu machen, neue statistische Produkte zu schaffen und den Datenaustausch im Rahmen des ESS voranzutreiben. Diese Themen werden derzeit auch auf EU-Ebene im Rahmen der Überarbeitung unserer EU-Statistik-Verordnung intensiv diskutiert.

Künstliche Intelligenz (KI) ist ein Ansatz, der auch die Statistikwelt verändern wird. Was erwarten Sie in diesem Bereich für die Zukunft?

Das Statistische Bundesamt setzt künstliche Intelligenz (KI) und maschinelles Lernen seit vielen Jahren in der Statistikproduktion ein. Diese Verfahren erlauben beispielsweise, die Bearbeitungsschritte nach dem Eingang der Daten effizienter zu gestalten. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden so bei der Bearbeitung von Standardfällen entlastet. Das erhöht die Qualität unserer Statistiken, denn so bleibt Zeit für die schwierigen Fälle, die auch eine KI nicht verlässlich bearbeiten kann. Ein weiterer Aspekt ist mittelfristig auch der Erhalt der Arbeitsfähigkeit des Statistischen Bundesamts. Knappe Mittel und demografischer Wandel erfordern eine zunehmende Automatisierung der Statistikproduktion. Hier hilft der Einsatz von KI, wenngleich er die Arbeit der Beschäftigten nie vollständig ersetzen kann.

Bei all dem haben wir im Blick, dass der Einsatz von KI auch Risiken birgt. Dass eine KI nie zu 100 Prozent richtig liegt, ist uns als Statistikerinnen und Statistikern klar – damit können wir umgehen. Aktuell arbeiten wir an einem Qualitätsbegriff für KI in der amtlichen Statistik, der auch Aspekte wie Transparenz und Nachvollziehbarkeit von KI-Lösungen aufgreift. Aufmerksam müssen wir jedoch bezüglich zweier Punkte sein: Einerseits, wenn fremde künstliche Intelligenzen falsche Meldungen produzieren und dabei das Statistische Bundesamt als vermeintliche Quelle nennen. Andererseits, wenn Informationen, die an uns im Rahmen der Erhebung von Daten gesendet werden, von einer künstlichen Intelligenz erzeugt statt vom Menschen erfasst oder aus Datenbanken oder Systemen des Rechnungswesens extrahiert werden. Sofern diese Meldungen deswegen falsche Angaben erhalten, erfüllt der oder die Meldende nicht seine gesetzliche Auskunftspflicht. Vor allem aber gefährdet dies die Verlässlichkeit der amtlichen Statistik und das Vertrauen in sie.

In der Presse ist oftmals von der „Datenwüste Deutschland“ die Rede. Werfen wir einen Blick in die Zukunft: Wie kann Deutschland zur Datenoase werden? Und was würden Sie gerne dazu beitragen? Welche Potenziale werden hier noch nicht genutzt?

Sie haben bereits den Gegenbegriff zur Datenwüste genannt: Die Datenoase. Aus meiner Sicht haben wir in Deutschland eher das Problem, dass es zu viele einzelne Datenoasen gibt, die oft nicht miteinander vernetzt sind. Und manche Oasen sind so gut versteckt, dass niemand sie findet. Die Oasen, sprich: Daten, haben wir also oft schon. Was wir brauchen, sind Verbindungskanäle, damit die Daten dort ankommen, wo sie gebraucht werden, und zwar in einem Format, das auch nutzbar ist. Dazu braucht es einerseits solch scheinbar banale Dinge wie einheitliche Metadaten, aber auch Open Data-kompatible Strukturen und das, was man unter dem Begriff „Data Governance“ zusammenfasst. Zu all diesen Punkten können wir als Statistisches Bundesamt vieles beitragen – sowohl intern als auch in der Zusammenarbeit mit anderen datenhaltenden Stellen. Aber das ist viel Arbeit – dazu brauchen wir zum einen den politischen Auftrag und zum anderen die entsprechenden Mittel.


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