„Wir müssen mutig sein, kreativ und quer denken"

Sehr geehrter Herr Haussmann, herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Wahl zum Vorsitzenden des AWV-Fachausschusses 2 „Verwaltungsvereinfachung und Entbürokratisierung im personalwirtschaftlichen Umfeld“. Was hat Sie dazu bewogen, sich ehrenamtlich für die AWV zu engagieren?

Vielen Dank. Für die AWV engagiere ich mich schon seit 2007. Wir haben hier viele Möglichkeiten, über institutionelle Grenzen hinweg zu gestalten. Und das schlichte aber herausfordernde Ziel der AWV, die für alle Beteiligten einfachste Lösung zu finden, hat mich von Beginn an fasziniert und tut es bis heute. Zudem bieten wir eine tolle Plattform für den interdisziplinären Austausch und helfen ganz konkret bei den praktischen Herausforderungen des Tagesgeschäfts – egal ob im Unternehmen oder in der Verwaltung.

Und wir erreichen etwas. Hier fallen mir aus meinem Wirkungsbereich spontan die elektronische Lohnsteuerkarte, die einheitliche Entgeltbescheinigung oder die aktuell auf dem Weg befindliche elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ein. Alles drei Projekte, die ohne die AWV und insbesondere die aktiven Ehrenamtler so nicht gekommen wären.

Und drittens nehme ich auch bei meinen politischen Gesprächen mit Abgeordneten und Ministerien wahr, dass die AWV gehört wird. Und das liegt vor allem an unserem Know-how, aber auch unserer Unaufgeregtheit, die Themen zu platzieren. Wir sind ja kein Interessenverband, der irgendwelche Dinge durchsetzen „muss“.

Im Fachausschuss 2 steht insbesondere die Entgeltabrechnung mit ihren zahlreichen Melde- und Bescheinigungspflichten im Mittelpunkt. Welche Themen treiben Sie in diesem Kontext derzeit voran bzw. werden aktuell gestaltet?

Wir haben fünf sehr aktive Arbeitskreise, von denen der älteste seit über 30 Jahren aktiv ist und sich bis heute um die Harmonisierung und Vereinfachung von Entgeltbescheinigungen kümmert. Das klingt vielleicht trivial, ist aber ein Mammutprojekt, wenn man bedenkt, dass jede (Sozial-)Leistung in Deutschland quasi anders berechnet wird, jede Behörde am liebsten einen eigenen, maßgeschneiderten Entgeltnachweis möchte und wir aus einer komplett papierbasierten Welt kommen. Zwischenzeitlich laufen die allermeisten Bescheinigungen auf elektronischen Verfahren, und wir konnten den Bescheinigungswald stark ausdünnen. Hieran war die AWV maßgeblich beteiligt. Trotzdem werden wir noch einige Zeit brauchen, um unsere Vision umzusetzen: Mit einem schlankem, elektronischen Entgeltdatensatz möglichst viele (Sozial-)Leistungen gleichermaßen zu berechnen – transparent und nachvollziehbar für den jeweiligen Leistungsempfänger. Das heißt auch, uns endlich einfachere gesetzliche Rahmenbedingungen in Deutschland zuzutrauen.

Das über die Jahre entstandene Netzwerk – bestehend aus Abrechnungsexpertinnen und ­-experten aus Unternehmen und Verwaltung sowie den Adressaten der Bescheinigungen, wie Sozialversicherungsträger und Behörden – bildet den Ausgangspunkt, aus dem dann nach und nach auch alle anderen Projekte und Kreise im Fachhausschuss 2 entstanden sind. Im Arbeitskreis 2.1 etwa haben wir den Datentransportstandard eXTra entwickelt. eXTra als Kommunikationsstandard für digitale Prozessketten ist absolut etabliert – allen voran in der Sozialversicherung.

Im Bereich der Steuer treiben wir die Digitalisierung zwischen ­Finanzverwaltung und Unternehmen voran, und im Arbeitskreis 2.4 arbeiten wir aktiv an der geplanten Einführung der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung mit. Und unser jüngster Kreis befasst sich mit der Gestaltung der digitalen Transformation im HR-Bereich.

Wir hören schon, Sie nehmen den digitalen Wandel aktiv in den Fokus. Welche Aspekte sind Ihnen dabei besonders wichtig?

Kurz gesagt, dass wir die Prozesse vorher so gestalten, dass Digitalisierung auch ihr Potenzial entfalten kann. Papierverfahren einfach nur 1:1 elektronisch umzusetzen, bringt wenig. Wir müssen mutig sein, kreativ und quer denken, Sonderlocken konsequent abschneiden und vor allem viel stärker vom Kunden her denken.

Aus meiner praktischen Erfahrung im Personalservice der Deutschen Bahn erlebe ich an vielen Stellen, dass dieses Vorgehen Früchte trägt. Ich denke da nur an unsere Reisekosten App, die deshalb eine Erfolgsgeschichte ist, weil wir vorher einen neuen, sehr schlanken Abrechnungsprozess etabliert haben – ohne Genehmigungsschleifen und konsequent papierlos.

Im letzten Jahr haben wir auch einmal die gewohnten Pfade im Fachausschuss 2 verlassen und zwei BarCamps durchgeführt.1 Das Besondere an diesem Veranstaltungsformat ist, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Themenschwerpunkte aktiv und vor Ort mitentwickeln. Das hat sehr gut funktioniert. Während wir uns in der ersten Veranstaltung unter dem Motto „Vision 2030“ mit der Entgeltabrechnung der Zukunft befasst haben, standen beim zweiten BarCamp die Abgabenverfahren der Zukunft im Fokus.

Mit der immer weiter fortschreitenden ­Digitalisierung ergeben sich ständig neue Gestaltungsoptionen. Fragen wie: „Wo bringt uns Künstliche Intelligenz weiter voran?“, „Was macht künftig der Mensch, was die Maschine?“, „Wie gestalten wir Change-Prozesse?“ etc. wollen durchdacht und fortlaufend diskutiert sein.

Welche Themen werden Ihrer Einschätzung nach in den nächsten Jahren noch stärker in den Vordergrund rücken?

Neben der weiterhin dringend erforderlichen Vereinfachung von Prozessen und den dahinterliegenden Regelwerken – Deutschland ist hier noch zu kompliziert – sehe ich das Thema Künstliche Intelligenz ganz weit oben. Die vor wenigen Wochen auf dem Digital-Gipfel der Bundesregierung in Potsdam verkündete Initiative zur milliardenschweren Förderung der Künstlichen Intelligenz halte ich für richtig und längst überfällig.

Herr Haussmann, herzlichen Dank für das Interview!   

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