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Digitaltaugliche Gesetzgebung – Herausforderungen und Lösungsansätze

Workshop des AWV-Arbeitskreises „Digitale Transformation im Personalwesen“ in Berlin

Adobe Stock / Jordan C peopleimages

Gute Gesetzestexte schreiben ist eine Kunst, deren Erfolg sich häufig erst bei der Umsetzung in die Praxis zeigt. Dies gilt umso mehr, wenn Regelungen digital funktionieren müssen.

Ein aktuelles Beispiel ist das Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetz (PUEG). Mit ihm setzte der Gesetzgeber einen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2022 um: Seit Juli 2023 werden die Beiträge zur Pflegeversicherung nach Kinderzahl differenziert. Was vernünftig klingt, hat bei der Umsetzung viel Mühe bereitet und tut es noch immer.

Denn mit der Erfassung der Zahl der Kinder wurden auf Wunsch des Gesetzgebers die Arbeitgeber betraut. Sie benötigen nun präzise Informationen über die Kinderzahl ihrer Beschäftigten, um sie zu melden. Seit 1. Juli 2025 muss dafür das neue „Datenaustauschverfahren zur Beitragsdifferenzierung in der sozialen Pflegeversicherung“ (DaBPV) verpflichtend genutzt werden. Doch rasch war klar: Das DaBPV arbeitet mit unvollständigen Daten und Definitionen sind uneinheitlich. Eine einfache, funktionale Übergangslösung lief ohne Möglichkeit der Verlängerung aus. Mit anderen Worten: Ein Verfahren, das kaum gestartet ist, wird voraussichtlich bald wieder überarbeitet werden müssen – mit hohem Aufwand für alle Beteiligten.

Wie lässt sich verhindern, dass Gesetze mit solchen „digitalen Stolpersteinen“ überhaupt entstehen? Welche Instrumente stehen zur Verfügung, wo sind ihre Grenzen? Und wie kann man Verwaltung, Wirtschaft und Politik rechtzeitig an einen Tisch bringen? Diese Fragen standen im Mittelpunkt des Workshops des AWV-Arbeitskreises 2.5 „Digitale Transformation im Personalwesen“ am 19. und 20. August in Berlin. Gastgeber war der Arbeitgeberverband Gesamtmetall.

 

Von Bürokratiefrust bis Digitalcheck: der Auftakt

Die Arbeitskreisleiter Nadja Riedel (Das Unternehmerportal) und Jan-Erik Waschk (Lufthansa Group Business Services GmbH) eröffneten die zweitägige Veranstaltung mit einem klaren Ziel: Den Blick nicht nur auf die Probleme des PUEG zu richten, sondern konkrete Lösungsansätze für eine bessere Gesetzgebung zu entwickeln.

Den ersten Impuls lieferte Gastgeber Jens Dirk Wohlfeil. Er machte deutlich, dass Unternehmen die stockende Digitalisierung administrativer Prozesse längst als Wettbewerbsnachteil empfinden. „Wir brauchen weniger Bürokratie und mehr digitale Praxisnähe“, lautete sein Appell – ein Gedanke, der sich wie ein roter Faden durch die Diskussionen zog.

Die Mitglieder des Arbeitskreises trafen sich mit weiteren Fachleuten aus Ministerien und Verwaltung zu einem Workshop in den Räumlichkeiten des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall in Berlin.

Einen fachlichen Schwerpunkt setzte anschließend Katrin Lütkemöller Shaw vom Bundesministerium für Digitalisierung und Staatsmodernisierung (BMDS). Sie stellte den Digitalcheck vor – ein Instrument, das Gesetzesentwürfe frühzeitig auf ihre Digitaltauglichkeit prüfen soll und in einem iterativen Prozess gemeinsam mit Legistinnen und Legisten weiterentwickelt wird. Am Beispiel eines Gesetzesentwurfs zur Modernisierung und zum Bürokratieabbau im Strom- und Energiesteuerrecht zeigte die Referentin auf, wie Visualisierungen und Interviews mit Verwaltungsmitarbeitenden helfen, Stolpersteine zu identifizieren und Prozesse zu optimieren. Für die Zukunft geplant sei die Entwicklung eines einheitlichen Modells für die frühe Phase des Erarbeitungsprozesses von Regelungen, in der Digitalcheck und Interoperabilitätsbewertung zusammengeführt werden sollen.

Die Reaktionen der Teilnehmenden waren grundsätzlich positiv: Es gab viel Zustimmung zum Ansatz. Gleichzeitig wurde Kritik geäußert an einer politischen Kultur, die durch Eile und Ad-hoc-Gesetzgebung geprägt sei und in der und verkürzte Beteiligungsfristen fast schon zur Regel würden. Deutlich wurde: Ohne ausreichend Zeit und echten Dialog nützt auch der beste Digitalcheck wenig.

 

Once Only – Daten einmal erheben, vielfach nutzen?

Im nächsten Gastvortrag rückte das auch im Koalitionsvertrag der Bundesregierung verankerte Once-Only-Prinzip in den Mittelpunkt. Alfried Reusch vom Bundesministerium der Finanzen (BMF) verdeutlichte anhand einer Nutzerreise beim Immobilienkauf, wie aufwendig Daten heute mehrfach abgefragt werden – und welches Potenzial es hätte, in der Gesetzgebung vor allem Lebenslagen zu betrachten und vorhandene Datenquellen für unterschiedliche Verfahren direkt zu nutzen.

Doch die Tücke steckt im Detail: Begriffe wie „Kind“, „Einkommen“ oder „Vermögen“ sind rechtlich immer wieder unterschiedlich definiert. Damit wird ein Datensatz, der in einer Verwaltung funktioniert, in einer anderen unbrauchbar. Eine gute Daten-Governance, in der jedes Datenfeld nur ein eindeutiges Zuhause habe, sei ein Ziel, das beharrlich und engagiert verfolgt werden müsse. Am Beispiel des PUEG zeigte sich, wie sehr deren Fehlen aktuell eine digitaltaugliche Gesetzgebung erschwere.

Die Diskussion brachte es auf den Punkt: Gesetze brauchen zunächst eine klare Zieldefinitionen, gefolgt von faktenbasierte Entscheidungsgrundlagen und vor allem Zeit. Ein frühzeitiger Austausch mit allen Akteuren könnte verhindern, dass ineffiziente Parallelverfahren entstehen.

 

Analyse und Kritik am DaBPV

In einer anschließenden Arbeitsphase setzten sich die Teilnehmenden intensiv mit dem neuen DaBPV-Verfahren auseinander. In Gruppenarbeiten wurden Historie, Abläufe und die Auswirkungen auf die Arbeitgeberpraxis erarbeitet. Die Bilanz war ernüchternd, aber eindeutig: Bemängelt wurden Zeitverzug, unklare Schnittstellen, lückenhafte Datenketten und ein Kinderbegriff, der alles andere als eindeutig ist.

Viele Stimmen kamen zu demselben Schluss: Das Verfahren funktioniert aktuell zwar technisch, doch praxistauglich und nachhaltig ist es nicht.

 

Normenkontrollrat: Wächter über Bürokratiekosten

In einem weiteren Fachvortrag gab Michael Gose vom Sekretariat des Nationalen Normenkontrollrats (NKR) einen Einblick in Aufgaben und Arbeitsweise des Nationalen Normenkontrollrats. Der NKR prüft, vertreten durch seine ehrenamtlichen Ratsmitglieder, Gesetzesvorhaben mit Blick auf ihren Erfüllungsaufwand weitere Kosten und entwickelt Vorschläge zum Bürokratieabbau. Doch auch er steht unter Druck: Immer kürzere Fristen in der Gesetzgebungsphase sowie noch fehlende Standards für anschließende Praxischecks erschweren die wichtige Arbeit des Gremiums. Einigkeit bestand in der anschließenden Diskussion, dass sowohl Digitalcheck als auch Evaluationspflichten verbindlicher verankert werden müssen.

 

Schlagzeilen und Lösungsräume

Der zweite Tag begann kreativ: In kurzen Schlagzeilen hielten die Teilnehmenden ihre Eindrücke fest. „Bürokratiewahnsinn PUEG“, „Digitalcheck – Hoffnung oder zahnloser Tiger“ oder „Die verlorenen Kinder des BZSt“ lauteten einige der Formulierungen. Sie spiegelten die Spannbreite zwischen Frust und Hoffnung wider. Im Anschluss arbeiteten die Teilnehmer in Gruppen an konkreten Lösungen und stellten einen bunten Strauß denkbarer Ansätze zusammen:

  • Für die Gesetzgebung allgemein: Frühzeitiger Start, verbindliche Evaluationsphasen, regelmäßige Abstimmung aller Beteiligten.
  • Für das Verfahren selbst: Denkbar wäre eine Umsetzung über Krankenkassen oder Kindergeldstellen statt über Arbeitgeber.
  • Für den Kinderbegriff: Einrichtung einer Clearingstelle, Abgleich zwischen Kindergeld- und Steuerdaten, Nutzung bestehender Register.
  • Für Schnittstellen und Datenflüsse: Rückkehr zu einer einheitlichen Steuer-Schnittstelle (ELStAM), Zuweisung des DaBPV an die Krankenkassen oder langfristig ein zentrales „Kinderregister“.

Viele dieser Vorschläge, dies wurde in dieser Phase deutlich, hätten eine grundlegend andere Entscheidung bereits zu Beginn erfordert. Damit rückt die Kernfrage in den Fokus: Wie lässt sich sicherstellen, dass Gesetze künftig von Anfang an digital gedacht werden?

 

Fazit und Ausblick

In der Abschlussrunde waren sich alle einig: Der Workshop war intensiv, offen und produktiv. „Spannend“, „optimistisch“, „dynamisch“ – so lauteten nur einige der Rückmeldungen. Klar wurde aber auch: Ohne verbindliche Verfahren zur Digitaltauglichkeitsprüfung und ohne klarere Begriffe wird es schwer, praxistaugliche Lösungen zu schaffen.

Der Arbeitskreis beschloss, die erarbeiteten Ergebnisse in einem möglichen Folgetermin zu vertiefen und die Ergebnisse weiterzugeben.

Das Beispiel PUEG macht sichtbar, wie groß die Herausforderungen einer digitaltauglichen Gesetzgebung sind. Unterschiedliche Rechtsbegriffe, politische Eile und notwendige Übergangslösungen führen zu Systemen, die von Beginn an fehleranfällig sind. Gleichzeitig zeigt der Workshop: Mit Instrumenten wie Digitalcheck, Once Only und Praxischecks gibt es gute Ansätze, besser zu werden – wenn man sie rechtzeitig, verbindlich und mit allen Beteiligten anwendet.

Die AWV und ihre Arbeitskreise sind in ihrer Rolle als Anstoßgeber und Vernetzer unverzichtbar. Denn nur im gemeinsamen Dialog entstehen Lösungen, die nicht nur juristisch Bestand haben, sondern auch digital funktionieren – und damit wirklich entlasten.

 

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