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Mit jedem eingesetzten Euro mehr Wirkung: AWV-Interview mit Kay Scheller

Adobe Stock / Billion Photos

Angespannter Arbeitsmarkt, stockender Bürokratieabbau, bedrohliche Cyber-Angriffe, globale Krisenstimmung, wachsender Schuldenberg – Wie kann es vor dem Hintergrund dieser Gemengelage gelingen, die staatliche Verwaltung zu modernisieren und die staatlichen Finanzen nachhaltig zu sichern? Und welche Aufgaben erfüllt dabei der Bundesrechnungshof? Wir haben Kay Scheller, den Präsidenten des Bundesrechnungshofs und Bundesbeauftragten für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung, zu aktuellen Herausforderungen und möglichen Lösungen befragt.

Herr Scheller, Sie sind Präsident des Bundesrechnungshofs (BRH) und zugleich Bundesbeauftragter für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung (BWV). Was sind derzeit Ihre Hauptaufgaben als Bundesbeauftragter und inwiefern werden dadurch die Aufgaben des BRHs ergänzt?

Als Bundesbeauftragte für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung (BWV) bin ich unabhängiger Berater der Bundesregierung und des Parlaments in Fragen der Wirtschaftlichkeit und Effizienz der Bundesverwaltung. Meine Aufgabe ist es, durch Gutachten, Stellungnahmen und Empfehlungen Impulse für eine moderne, leistungsfähige und wirtschaftliche Verwaltung zu geben. 

Als BWV kann ich also helfen, den nüchternen Blick auf die Fakten frei zu machen. Dies ermöglicht wirksame und effiziente Reform- und Modernisierungsschritte und damit eine nachhaltige Stärkung der staatlichen Handlungsfähigkeiten.

Meine Beratung stützt sich dabei auf die Prüfungserkenntnisse des Bundesrechnungshofes, an dessen Entscheidungen ich aber nicht gebunden bin. Als BWV verfüge ich übrigens weder über eigenes Personal noch über eigene Haushaltsmittel.

Der BRH vertritt die Auffassung, dass der Staat sowohl organisatorisch als auch strukturell modernisiert werden müsse. Welche konkreten Handlungsfelder sehen Sie derzeit – gerade auch vor dem Hintergrund der immer höher werdenden Staatverschuldung und der sich verstetigender Krisen – um staatliches Verwaltungshandeln effizienter auszurichten und die Staatsfinanzen nachhaltig zu sichern?  

Viele Versäumnisse des Staates bestehen seit langem. Sie sind struktureller Natur. Die staatliche Handlungsfähigkeit ist mittlerweile in vielen Bereichen ernsthaft geschmälert und das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in den Staat ist spürbar erschüttert. Politik und Verwaltung nehmen immer mehr Geld in die Hand, um strukturelle Probleme zu kompensieren, unliebsame Reformen zu vermeiden und auf externe Schocks zu reagieren. Dabei tut es Not, die Steuergelder – und auch das geborgte Geld – in besseren Strukturen wirtschaftlich und zielgerichtet einzusetzen. Sonst werden die Probleme für die nächsten Generationen noch größer.

Hierzu habe ich als BWV erst kürzlich das Impulspapier „impulse25“ vorgelegt, das in zwölf zentralen Handlungsfeldern Schwachstellen und Lösungsmöglichkeiten formuliert. Sie umfassen beispielsweise den Bundeshaushalt im Allgemeinen, die Bundeswehr, die Sozialversicherungssysteme oder den Klimaschutz. Sämtliche Empfehlungen basieren auf der vielfältigen, unabhängigen und faktenbasierten Prüfungs- und Beratungstätigkeit des Bundesrechnungshofes. Nur mit klaren Prioritäten, Mut zur Veränderung und einer ehrlichen Bestandsaufnahme können wir die Handlungsfähigkeit des Staates sichern.

Portrait von Kay Scheller, Präsident des Bundesrechnungshofes

Kay Scheller wurde im Jahr 1960 in Kiel geboren und absolvierte ein Studium der Rechtswissenschaften. Nach Tätigkeiten als Referent in den Bundesministerien für Frauen und Jugend sowie für Bildung und Forschung und im Bundeskanzleramt war er seit 1999 für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion tätig – von 2005 bis 2014 als Fraktionsdirektor. Kay Scheller ist seit dem 1. Juli 2014 Präsident des Bundesrechnungshofes und in dieser Funktion auch Vorsitzender des Bundespersonalausschusses sowie Bundesbeauftragter für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung. Von 2016 bis 2022 war Herr Scheller Mitglied im Rat der Rechnungsprüfer (United Nations Board of Auditors), dem zentralen Prüfungsausschuss der Vereinten Nationen. Seit 2022 ist er externer Prüfer des Welternährungsprogramms (World Food Programme). Foto: Bundesrechnungshof

 

Nachhaltigkeit wird zunehmend als Leitprinzip öffentlicher Finanzpolitik verstanden. Auch der BRH macht sich dafür stark. Welche strategischen Anforderungen ergeben sich daraus für die Haushaltssteuerung von Bund, Ländern und Kommunen – insbesondere im Hinblick auf Generationengerechtigkeit, Klimaziele und Investitionsfähigkeit?  

Nachhaltigkeit bedeutet, dass wir nicht auf Kosten künftiger Generationen leben dürfen. Nachhaltigkeit muss mit konkreten Zielen und Indikatoren verankert werden etwa für Klimaschutz, Investitionen und soziale Gerechtigkeit.

Nachhaltigkeit muss aber auch in der Finanzwirtschaft gelten. Wir müssen auch an die Menschen denken, die heute im Kindesalter oder noch gar nicht geboren sind. Diese dürfen wir, wenn sie mal im Berufs- und Wirtschaftsleben sind, nicht überfordern durch Belastungen, die wir heute schaffen. Das ist Gerechtigkeit gegenüber künftigen Generationen.

Die neu eröffneten Verschuldungsmöglichkeiten spielen hier eine entscheidende Rolle. Sie können bereits binnen weniger Jahre zur Verdopplung der Zinszahlungen des Bundes führen. Da der Bund einmal aufgenommene Schulden bisher nur umwälzt aber nicht tatsächlich tilgt, baut sich für künftige Generationen eine ständig steigende Ewigkeitslast dauerhafter Zinszahlungen auf. Zumindest das neue Sondervermögen für Infrastruktur und Klimaschutz sollte daher mit einer Tilgung in einem angemessenen Zeitraum verbunden werden.

Der Arbeitsmarkt ist einem immensen Transformationsdruck ausgesetzt. Herausforderungen wie etwa der Fachkräftemangel treffen auf eine angespannte Wirtschafts- und Haushaltslage. Die Mittel des Bundes werden unter anderem gebraucht, um Fachkräfte zu gewinnen. An welchen Stellschrauben könnte der Bund drehen, um beide Aspekte – Kostendisziplin und Unterstützung – in ein ausgewogenes Verhältnis bringen? 

Der Fachkräftemangel ist eine der größten Herausforderungen für Staat und Wirtschaft. Qualifizierte Fachkräfte sind unverzichtbar für zukunftsfähige Organisationen. Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt passen jedoch häufig nicht zusammen. Das Potenzial von älteren Menschen, Frauen und Zugewanderten wird viel zu wenig genutzt. Im Bereich der Erwerbsmigration bemängeln Unternehmen die vielen Akteure und langwierigen Prozesse. Hier sind Schnittstellen zu reduzieren, Prozesse zu optimieren und Chancen der Digitalisierung konsequent zu nutzen.

Damit Arbeitsuchende Beschäftigung finden und die Abhängigkeit von staatlichen Leistungen überwinden, bedarf es oft gezielter Förderung. Zugleich sind sie gefordert, hierzu aktiv beizutragen. Prüfungen des Bundesrechnungshofes zeigen: Die Balance zwischen beiden Aspekten hat sich verschoben. So ist gegenwärtig nicht immer klar, welche Eigenanstrengungen den Bürgergeldbeziehenden zugemutet werden können. Es muss darauf geachtet werden, dass Fördern und Fordern bestmöglich zusammenwirken. Sonst drohen Fehlanreize und die eingesetzten Steuermittel bleiben ohne Wirkung.

Ziel der AWV ist es, Verwaltungstätigkeiten innerhalb und zwischen Wirtschaft und öffentlicher Verwaltung effizient zu gestalten und zu optimieren. Wo sehen Sie hier Möglichkeiten, Prozesse zu vereinfachen und Bürokratie abzubauen, sodass beide Seiten davon profitieren?

Bürokratieabbau ist eine Daueraufgabe. Wirtschaft und Verwaltung profitieren gleichermaßen von einfacheren, schnelleren und digitalen Prozessen. Alle Maßnahmen der Verwaltung müssen wirksam und effizient sein. Überflüssiger bürokratischer Ballast muss abgeworfen werden. Planungs-, Genehmigungs- und Beschaffungsprozesse müssen beschleunigt und von verzichtbaren Vorgaben befreit werden. Hier muss Deutschland für das digitale Zeitalter fit gemacht werden. 

Der digitale Aufbruch in der deutschen Verwaltung verläuft aber leider sehr stockend. Statt einer klaren Vision gab es bisher vor allem ziellose Einzelaktivitäten. Die Verwaltung muss neue Wege gehen, wenn sie bei der Digitalisierung erfolgreich sein will. Das heißt neue Steuerungsstrukturen statt weiteres Silodenken. Dazu gehört auch ein zentrales Digital- und IT-Budget des Bundes statt Doppel- und Mehrausgaben einzelner Ressorts.

Im Wirtschaftsstandort Deutschland gibt es viele Großbaustellen. Um nur einige zu benennen: Die Verkehrs- und Netzinfrastruktur ist in die Jahre gekommen, Cyber-Sicherheit wird ebenso als Flickenteppich bezeichnet wie die Verwaltungsdigitalisierung und in der Energiewende hinkt Deutschland seinen Zielen hinterher. Welche Rolle spielt die Verwaltung für die Standortsicherung?  

Eine leistungsfähige, moderne Verwaltung ist der Schlüssel für einen wettbewerbsfähigen Wirtschaftsstandort. Sie muss als Ermöglicher agieren, nicht als Bremse.

Bei der maroden Verkehrsinfrastruktur beispielsweise ist die Mängelliste lang. Wer mit Sondervermögen vorübergehend mehr Geld ins System pumpt, kann nur mit weiteren Reformschritten eine moderne und leistungsfähige Verkehrsinfrastruktur sicherstellen. Wirtschaftliches Handeln bleibt auch bei mittelfristig auskömmlicher Finanzierung oberstes Ziel. Die Verwaltung muss priorisieren und festlegen, wie viele Verkehrswege sie zu welchem Preis erhalten und neu bauen will.

Auch bei Großprojekten wie der Digitalisierung ist es entscheidend, dass die eingesetzten Mittel zielgerichtet und wirkungsvoll verwendet werden. Mit der Einrichtung des Bundesministeriums für Digitales und Staatsmodernisierung muss die Verwaltung die IT-Steuerung grundlegend neu denken. Fachliche Anforderungen einzelner Ressorts sollten im Einzelfall zugunsten einer konsolidierten Lösung zurücktreten. Diese Lösungen müssen im Gegenzug leistungsfähig sein und verlässlich funktionieren. Übergreifende Ziele, wie die Informationssicherheit und die Digitale Souveränität, hat die Verwaltung dabei im Blick behalten.

Gerade bei IT-Sicherheit und Datenschutz hat die Verwaltung eine Vorbildfunktion. Ein digitales Deutschland hat sich gegen die Gefahren des Cyberraums zu schützen. Deutschland kann es sich nicht leisten, jährlich Milliarden Euro durch Cyber-Angriffe, Cyber-Spionage, Cyber-Sabotage und Cyber-Betrug zu verlieren. Deutschland braucht dafür eine neue Cyber-Sicherheitsstrategie. Aufgabe der Verwaltung ist die Umsetzung zentral zu finanzieren, zu steuern, zu überwachen und auf Abweichungen rechtzeitig zu reagieren. Denn bisher agieren die Ressorts lediglich isoliert und bündeln ihre Aktivitäten nicht. Darüber hinaus hat Verwaltung einen Rechtsrahmen zu schaffen, der kritische Infrastrukturen wirksamer schützt. Die zuständigen Aufsichtsbehörden muss sie dabei so aufstellen, dass diese ihre Verpflichtungen sofort erfüllen können.

Insbesondere beim Klimaschutz und Energiewende hat der Bundesrechnungshof seit dem Jahr 2021 zahlreiche Empfehlungen gegeben, wie die Verwaltung ihre Bilanz bei Klimaschutz und Energiewende verbessern kann. Wesentliche Empfehlungen hat sie bislang aber nicht aufgegriffen. So fehlen der Verwaltung nach wie vor wesentliche Informationen, um den Klimaschutz wirksam und effizient zu steuern: Sie weiß bis heute nicht, wieviel sie für den Klimaschutz insgesamt ausgibt und was sie an Mitteln benötigt, um Deutschlands Klimaschutzziele zu erreichen. Entscheidend für den Wirtschaftsstandort sowie die Akzeptanz der Energiewende ist es zudem, dass die Kosten der Transformation klar benannt und sozialverträglich verteilt werden. 

Insgesamt gilt: Bundesbehörden und Ministerien – ebenso wie die Politik – sollten endlich verinnerlichen, dass ihr Erfolg vor allem durch wirkungsvolles Handeln bestimmt wird und nicht durch immer mehr Haushaltsmittel. Es gilt, mit jedem eingesetzten Euro mehr Wirkung zu erreichen. Auch das schafft Spielraum im Haushalt für weitere dringliche Ausgaben. 

Cyber-Angriffe sind nur eine mögliche Bedrohung, gegen die Deutschland sich besser wappnen muss, Naturkatastrophen oder Pandemien sind weitere. Welche rechtlichen Vorkehrungen sollten für einen krisenresilienten Staat getroffen werden? 

Krisenresilienz erfordert klare rechtliche und organisatorische Rahmenbedingungen. Dabei kommt dem Schutz kritischer Infrastrukturen eine besondere Dringlichkeit zu. Versorger von unentbehrlichen Gütern und Dienstleistungen wie beispielsweise in den Bereichen Energie, Wasser, Ernährung, Gesundheit, Kommunikation und Verkehr sollten die Risiken in ihren Sektoren kennen und sich bestmöglich schützen. 

Ein Rechtsrahmen, der hier den physischen Schutz verbindlich vorschreibt, besteht nach wie vor nicht. Bislang ist es nicht gelungen, die unionsrechtlichen Vorgaben zum Schutz kritischer Infrastrukturen umzusetzen. Dies muss zügig nachgeholt werden.

Der Bund sollte daher zusammen mit den Ländern die verfassungsrechtlichen und einfachgesetz-lichen Grundlagen schaffen, um einen flexiblen, krisenadaptiven nationalen Krisenmechanismus zu etablieren, der eine wirksame Krisenbewältigung aus einem Guss ermöglicht. Schließlich kommt es nicht darauf an, wer oder was die Krise verursacht hat oder wo sie am stärksten durchschlägt, sondern dass sie mit gebündelten Kräften aller staatlichen Akteure und Hilfsorganisationen möglichst schnell und effektiv bewältigt wird.

Wie sehen für Sie die Bundesverwaltung und der BRH und deren Zusammenarbeit idealerweise im Jahr 2035 aus? 

Im Jahr 2035 wünsche ich mir eine Bundesverwaltung, die digital, effizient und bürgernah arbeitet. Die Verwaltung sollte flexibel auf neue Herausforderungen reagieren können und als attraktiver Arbeitgeber kompetente und motivierte Fachkräfte gewinnen.

Der Bundesrechnungshof bleibt unabhängiger Prüfer und Berater, der mit moderner Datenanalyse, KI-gestützten Prüfverfahren und hoher Transparenz arbeitet. Die Zusammenarbeit zwischen Verwaltung und Bundesrechnungshof ist geprägt von gegenseitigem Respekt, Offenheit und dem gemeinsamen Ziel, das Verwaltungshandeln kontinuierlich zu verbessern und die Staatsfinanzen nachhaltig zu sichern.

Lieber Herr Scheller, herzlichen Dank für dieses Interview!

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