Digitalisierung braucht eine Strategie

Ein Beitrag von Prof. Dr. Michael Batz, Duale Hochschule Baden-Württemberg, Heidenheim a. d. Brenz

Keine digitale Transformation ohne Strategie

Es mag strittig sein, ob bzw. in welchem Ausmaß die Soziale Arbeit auf die Digitalisierung bislang zu ablehnend bzw. zu abwartend reagiert hat und ihr Selbstverständnis zu stark von der Bedeutung des direkten und persönlichen Kontaktes bei der Erbringung sozia­ler Dienstleistungen abhängig gemacht hat. Unstrittig ist dagegen, dass die Digitalisierung in der Sozia­len Arbeit noch hinter ihren Möglichkeiten zurückbleibt. Damit läuft sie jedoch u. a. Gefahr, die Lebenswelt ihrer Klienteninnen und Klienten aus den Augen zu verlieren, an Attraktivität für Fachkräfte (weiter) einzubüßen, für Fragen der Gestaltung gesellschaftlicher Wandelprozesse im Zusammenhang mit der Digitalisierung irrelevant zu werden sowie digitale Potenziale für die Verbesserung der Effektivität, Effizienz und Qualität sozialer Dienstleistungen ungenutzt zu lassen.

Digitale Projekte und Initiativen sind mittlerweile zwar in vielen Organisationen der Sozialwirtschaft anzutreffen. Allzu oft handelt es sich dabei jedoch noch um sogenannte Pilotprojekte bzw. „Leuchtturmprojekte“ und Einzelinitiativen, die mehr oder weniger unabhängig voneinander verfolgt werden und nicht selten dem persönlichen Faible einzelner Personen in einer Organisation entstammen oder auch dem Vorhandensein bestimmter Förderprogramme Rechnung tragen. Was dagegen in sozialen Organisationen oftmals fehlt, ist eine richtungsweisende Digitalisierungsstrategie, die klar kommuniziert und konsequent verfolgt wird. Der Grund hierfür dürfte in vielen Fällen weniger das Interesse an der Thematik als vielmehr die mit der Entwicklung einer Digitalisierungsstrategie verbundenen Herausforderungen sein, wie etwa die Schwierigkeit, zukünftige technologische Entwicklungen zu prognostizieren.

Ohne eine Strategie ist es jedoch kaum möglich, die richtigen Prioritäten zu setzen, um die Nutzenpotenziale des Einsatzes digitaler Technologien umfassend ausschöpfen zu können und über ein bloßes Nebeneinander von einzelnen Aktivitäten hinaus zu kommen. Diese Einsicht wird längst auch durch verschiedene Untersuchungen belegt.

So kommt etwa eine Studie der Universität Graz zum Thema Digitalisierung in der Sozialen Arbeit zu dem Ergebnis, „dass eine von der Organisation klar kommunizierte Digitalisierungsstrategie sich positiv auf die Wahrnehmung der Nutzung digitaler Technologien im Arbeitsalltag auswirkt und Digitalisierung eher etwas Selbstverständliches ist, tendenziell auch zu einer besseren Ausstattung und praxis­tauglichen Software führt, in mehr formale Unterstützungssysteme (IT, Schulungen) mündet, mehr Möglichkeiten der Mitsprache bei der Auswahl von Tools oder von Schulungen bewirkt.“(1)

Von der Vision zur Strategie

Damit die digitale Transformation gelingen kann, sollte eine Organisation zunächst über eine Vision verfügen, die allen Stake­holdern eine klare Vorstellung über das langfristige Zukunftsbild einer Organisation und über die Rolle der Digitalisierung für dieses Zukunftsbild vermittelt. In vielen Fällen bieten die bestehenden Visionen sozialer Organisationen bereits genügend Ansatzpunkte, die unter dem Gesichtspunkt der Digitalisierung weiterentwickelt werden können. Denkbar ist es zudem auch, zusätzlich zu der „allgemeinen“ Vision einer Organisation eine spezielle „digitale Vision“ zu entwickeln, wobei es dann darauf ankommt, diese beiden Positionierungen gut aufeinander abzustimmen. Eine starke Vision kann ein entscheidender Erfolgsfaktor für die digitale Transformation einer sozialen Organisation sein und unterstreicht, dass die digitale Transformation nicht als Projekt einer bestimmten Fachabteilung verstanden werden darf, sondern als weitreichender strategischer Veränderungsprozess aufgefasst werden muss. Ausgehend von der Vision sollte eine Organisation zudem über eine Mission verfügen, die Aussagen darüber enthält, auf welche Weise die Nutzung digitaler Technologen die zukünftige Ausrichtung der Organisation und ihre Arbeitsweise beeinflussen soll, sowie über ein Leitbild, in dem klar aufgezeigt wird, welche Werte und Normen für eine Organisation dabei handlungsleitend sein sollen.


1 Sabine Klinger, Andrea Mayr: Digitalisierung in der Sozialen Arbeit. Handlungsempfehlungen für die Arbeitspraxis, Graz 2022, S. 2, online: https://digital-at-socialwork.uni-graz.at/de/toolbox.


Seite 1
| Weiter zu Seite 2 | Weiter zu Seite 3


Bild: Adobe Stock / peshkova