In politischen Programmen und Debatten wird dem Postulat der Nachhaltigkeit viel Platz eingeräumt. Auch zahlreiche Kommunen haben erklärt, sich an den „Sustainable Development Goals“ der UNO orientieren zu wollen. Allerdings finden sich daneben auch andere verwandte Begrifflichkeiten wie die Resilienz oder die Generationengerechtigkeit; darüber hinaus wird von einer Transformation gesprochen, die auch Themen wie Digitalisierung und Cyber-Sicherheit umfasst. Nachhaltigkeitspolitik bewegt sich insoweit auf kompliziertem, von Unsicherheiten geprägtem und mit möglichen Zielkonflikten behaftetem Terrain.
Nachhaltigkeit im Recht
Das Recht gibt in Deutschland hierzu nur schmale Hilfestellungen. Das Grundgesetz (Art. 20a GG) benennt zwar den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen. Hinzu kommt auf Bundesebene die Einbindung in die Gesetzesfolgenabschätzung: „Es ist darzustellen, ob die Wirkungen des Vorhabens einer nachhaltigen Entwicklung entsprechen, insbesondere welche langfristigen Wirkungen das Vorhaben hat.“ (§ 44 Abs. 1 Satz 4 Gemeinsame Geschäftsordnung der Bundesministerien GGO). Doch die Nachhaltigkeit bleibt ein unbestimmter Rechtsbegriff.(1) Immerhin hat der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (VGH BW) eine konkrete kommunale Maßnahme mit Rückgriff auf das Grundgesetz für zulässig erklärt:
Exkurs – Anwohnerparken und Klimaschutz
In einem bemerkenswerten Beschluss hat der VGH BW am 24. Juni 2022 entschieden, dass die Erhöhung der Gebühren für das Anwohnerparken in Freiburg auf bis zu 480 Euro im Jahr rechtens ist. Ausdrücklich verweist das Gericht auf das Klimaschutzziel im Grundgesetz: „Der Gebührengesetzgeber darf bei der Bewohnerparkgebühr auch Lenkungsziele verfolgen. Ein zulässiger Lenkungszweck ist die Erreichung des staatlichen Klimaschutzziels des Art. 20a GG und der Schutz von Grundrechten vor den Gefahren des Klimawandels durch eine Reduktion des Kfz-Verkehrs und der Verringerung des hierdurch bewirkten CO2-Ausstosses.“(2)
Auf kommunaler Ebene findet sich lediglich in der Geschäftsordnung des Landes Nordrhein-Westfalen (GO NW) ein Hinweis auf die Nachhaltigkeit (§ 1 Abs. 1 Satz 2). Darin wird die Verantwortung für künftige Generationen hervorgehoben. In allen anderen Kommunalverfassungen wird nur das „Wohl der Einwohner“ als Leitlinie für kommunales Handeln erwähnt. Das ist insofern fatal, als sich die Formulierung auf die jetzige Generation und ihre Bedürfnisse konzentriert. Deren Bereitschaft auch die künftige Entwicklung und damit die Lebensbedingungen kommender Generationen in ihre Präferenzen zu integrieren, ist begrenzt („Status-Quo-Bias“(3)).
Abb. 1: Was sind aktuell die wichtigsten Aufgaben in der Stadt (TOP 10)? Im OB-Barometer veröffentlicht das Deutsche Institut für Urbanisitk (difu) die Ergebnisse einer jährlichen Befragung unter Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern deutscher Städte. 2020 sahen die OBs bei Mobilität und Wohnen den größten Handlungsbedarf, 2021 bei den Coronamaßnahmen, gefolgt vom Klimaschutz. 2022 wurde der Klimaschutz dann als wichtigste Aufgabe wahrgenommen, gefolgt von Coronamaßnahmen und Wohnen. |
Das OB-Barometer des Deutschen Instituts für Urbanistik weist zwar den Klimaschutz als derzeit aktuellste Aufgabe der Städte aus; allerdings bedeutet das noch nicht die Umsetzung in konkrete Projekte und Vorhaben. Hinzu kommt, dass die Prioritäten sich von Jahr zu Jahr nicht unwesentlich verschieben.(4) Das Thema Klimaschutz hat zwar in allen drei Jahren einen hohen, aber erst 2022 den höchsten Stellenwert (s. Abb. 1). Dabei ist Klimaschutz nur ein (wenn auch wichtiger) Aspekt der Nachhaltigkeit. So verweist das Thema „Wohnen“ auf den ebenfalls zur nachhaltigen Entwicklung gehörenden Aspekt des Sozialen Zusammenhalts. Es ist durchaus denkbar, dass im nächsten Barometer aus diesem Themenfeld die Gewährleistung einer sicheren und bezahlbaren Energieversorgung in den Vordergrund rückt.
1 Vgl. U. Keilmann, M. Gnädinger, F. Volk: Grüne Ideen und schwarze Zahlen, in: Martin Junkernheinrich et al.: Jahrbuch für öffentliche Finanzen, Berlin 2022, S. 331.
2 Beschluss des VGH Baden-Württemberg vom 24.6.2022, 2S809/22, Leitsatz 2, vgl. Zeitschrift für Kommunalfinanzen 9/2022, S. 207ff.
3 Vgl. D. Kahnemann: Schnelles Denken – langsames Denken, München 2015, S. 359: „Nachteile eines Wechsels fallen stärker ins Gewicht als seine Vorteile, was eine Verzerrung erzeugt, die den Status quo begünstigt [...] Daraus folgt (G.S.), dass Wahlen [...] eine allgemeine Tendenz zur Begünstigung kleiner statt großer Veränderungen zeigen.“
4 Vgl. C. Kühl, B. Hollbach-Grömig: OB-Barometer: Klimathematik wichtigste aktuelle Aufgabe der Städte, in: Difu-Berichte 2/2022, S. 4, online: https://difu.de/publikationen/2022/difu-berichte-2-2022 [21.03.2023].
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