Charlotte Venama, die das Barcamp moderierte, zeigte auf, dass dieses Format zur Aktivierung aller Teilnehmer dienen soll. Frau Kjaer Riechert ergänzte, dass das Barcamp einen „Austausch auf Augenhöhe“ ermöglicht. Jeder Teilnehmer konnte seine Themen und Fragen, aber auch sein Know-how einbringen. Nachdem die Teilnehmer des Barcamps – wie es für dieses Veranstaltungsformat üblich ist – ihre Tagesordnung selbst erarbeitet hatten, begannen sie in insgesamt neun „Sessions“ zu debattieren. Auf der Agenda standen ­u. a. aufenthaltsrechtliche Fragen, die Finanzierung von Gründungen und die Zusammenarbeit mit Jobcentern. Weiterhin wurde über Unternehmensnachfolgen durch Geflüchtete und die Anerkennung von Qualifikationen diskutiert. Beispielhaft wurde dargestellt, wie Unternehmen im Rahmen ihres gesellschaftlichen Engagements dazu beitragen können, die Gründungspotentiale von Geflüchteten zu nutzen. Aber auch praktische Fragestellungen wie Marketing, Kooperation und Kundengewinnung wurden bearbeitet. Schließlich wurde thematisiert, wie Geflüchtete, die in ihre Heimatländer zurückkehren, für eine selbstständige Tätigkeit in ihrer Heimat vorbereitet werden können.

Gleich in einer der ersten Sessions wurde über die potenziellen Geschäftsfelder diskutiert. Es zeigte sich in der Diskussion, dass die Geschäftsfelder der migrantischen Gründer dabei so divers sind wie ihre Vorqualifikationen. Nach einer Studie der IHK Berlin dominieren die Branchen Handel, Dienstleistungen und Gastronomie bei den Gründungsvorhaben (IHK Berlin 2016). Doch auch technologie- und wissensbasierte Gründungen nehmen zu. Rund ein Viertel der Geflüchteten (27 Prozent) hat im Heimatland bereits ein Unternehmen geführt (Brücker et al. 2016). Auch wird oft vermutet, dass sie aufgrund ihrer Fluchterfahrungen Unternehmensgründungen weniger risikoscheu gegenüberstehen als Deutsche. Die Forschungen zur Migrantenökonomie deuten allerdings auch auf besondere Herausforderungen hin. So ist die stärkere Gründungsneigung von Migranten auch durch ihre geringeren Arbeitsmarktchancen bedingt. Ihre Gründungen scheitern zudem häufiger und werden liquidiert (Leicht et al. 2017). Nicht zuletzt nehmen Migranten bürokratische Hürden von Unternehmensgründungen stärker wahr als einheimische Gründer, und sie erhalten deutlich seltener finanzielle Förderung aus öffentlicher Hand (Metzger 2016).

Diese Hürden wurden im AWV-Barcamp intensiv erörtert. Im internationalen Vergleich seien die aufenthaltsrechtlichen Anforderungen an die Ausübung einer Selbstständigkeit recht liberal, hieß es aus dem Teilnehmerkreis. Dennoch wurde für ein Zuwanderungsgesetz plädiert, dass das „Kastensystem“ des Aufenthaltsrechts überwindet und Geflüchteten mit entsprechender Integrationsleistung nach einiger Zeit in Deutschland eine dauerhafte Perspektive bietet. Aufgrund der derzeitigen Rechtslage musste jedoch eine anwesende Geflüchtete enttäuscht werden, die sich selbstständig machen wollte. Zwar lebt sie mit ihrer Familie seit sechs Jahren in Deutschland und hat die Sprache gelernt, aber da sie nur „geduldet“ ist (Aufenthaltstitel gemäß ­§  60a AufenthG), darf sie kein Unternehmen gründen (weitere Informationen siehe IQ-Fachstelle Migrantenökonomie).

Doch auch Geflüchtete mit anderen Aufenthaltstiteln stehen vor großen Herausforderungen, wie sich im Laufe der Diskussionen herausstellte. Da sie zumeist nur eine maximal drei Jahre gültige Aufenthaltserlaubnis erhalten, stellen selbst öffentliche Banken oft keine Kredite für ihre Gründungsideen zur Verfügung. Als weitere Hürde wurde benannt, dass verzinste Kredite im muslimischen Kulturkreis als „haräm“ (verboten) gelten. Alternative islamkonforme Finanzierungsformen, ­z. B. Kredite mit Gewinnbeteiligungen statt Zinsen, wären ein Lösungsansatz. Einige Teilnehmer äußerten jedoch auch, dass muslimische Geflüchtete bei einer ernsthaften Gründungsabsicht auch verzinste Kredite nicht ausschließen dürften. Genannt wurde der „Mikrokreditfonds Deutschland“, der eine Starthilfe von 25.000 Euro bietet und sich besonders an Gründer mit Migrationshintergrund richtet. Oftmals wollen Geflüchtete aber nicht als solche in Erscheinung treten, sondern möchten Anerkennung für ihre Leistungen. Für eine zielgruppenspezifische Förderung ist dies aber problematisch, hieß es aus dem Teilnehmerkreis.

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