Exkurs: Kein digitaler Service ohne Qualitätssicherung – Beispiel Vereinigtes Königreich

Andere Länder haben schon länger Erfahrung mit Servicestandards. Anders als in Deutschland ist die Nutzung dort nicht freiwillig. Die Einhaltung des Servicestandards im Vereinigten Königreich wird vom Government Digital Service (GDS), der beim Cabinet Office angesiedelten britischen Digitalisierungsagentur, überwacht und unterstützt. Ein ausführliches Handbuch hilft den Verwaltungen dabei, dem Standard entsprechende  Leistungen zu entwickeln. Der GDS bietet darüber hinaus Weitbildungen an und organisiert fachlichen Austausch zwischen Praktikern.

Die Entwicklung einer Leistung ist in unterschiedliche Phasen (alpha, beta, live) und Überarbeitungsschleifen eingeteilt. Bei der Alpha-Phase geht es darum, für ein identifiziertes Problem kreativ über verschiedene Lösungsmöglichkeiten nachzudenken und aus verschiedenen Alternativen die beste  auszuwählen. Diese wird dann in der Beta-Phase zu einer tatsächlichen Leistung weiterentwickelt und getestet. Bei der Live-Phase stehen schließlich der tatsächliche Betrieb und die kontinuierliche Weiterentwicklung einer Leistung im Vordergrund.

Um in die nächste Phase wechseln zu können, muss jeweils ein Prüfverfahren bestanden werden, das vom GDS organisiert und durchgeführt wird. Das Prüfer-Team ist dabei fachlich gemischt und kann aus Vertretern verschiedener Verwaltungen bestehen. Die Prüfung dauert rund vier Stunden und besteht aus Vorträgen der Leistungsentwickler und Rückfragen der Prüfer im Hinblick auf die jeweilige Entwicklungsphase. Nach drei Tagen werden das Ergebnis (bestanden / nicht bestanden) sowie weiterführende Empfehlungen in einem Gutachten übermittelt. Das Gutachten wird veröffentlicht. Sollte eine Phase nicht bestanden werden, wird das Prüfverfahren dazu wiederholt. Nur Leistungen, die die Überprüfung aller Phasen bestanden haben, können ausgerollt werden.

Das beschriebene Prüfverfahren ist für Leistungen vorgesehen, die voraussichtlich mehr als 100.000 Transaktionen jährlich umfassen oder, im Falle verwaltungsinterner Leistungen, sofern mindestens zwei Behörden davon Gebrauch machen werden. Kleinere Entwicklungen können intern von dafür geschulten Mitarbeitern geprüft werden.

Digitale Verwaltungsleistungen: Künftige Herausforderungen

Der Servicestandard ist ein richtiger erster Schritt in Richtung nutzerfreundlicher und digitaler Verwaltungsleistungen. Gleichzeitig zeichnen sich schon jetzt weitere Herausforderungen ab, die frühzeitig mitgedacht werden sollten.

  • Verbindlichkeit: Die Nutzung des Servicestandards ist hierzulande derzeit völlig freigestellt. Das ist auch richtig so, will man zunächst für Verständnis und Akzeptanz sorgen und Erfahrungen in der Anwendung gewinnen. Sobald ein erstes Feedback ggf. zu einer weiteren Anpassung geführt hat, wäre aber die Zeit gekommen, über mehr Verbindlichkeit nachzudenken. Es wäre wünschenswert, dass die Einhaltung des Servicestandards bald zur unhinterfragten Selbstverständlichkeit werden würde. Es scheint aber angesichts bisheriger Erfahrungen nicht realistisch, dass sich gute Ideen ohne weiteres von alleine verbreiten und durchsetzen. Auch in Deutschland wäre ein ähnliches Prüfverfahren denkbar, wie es im Vereinigten Königreich angewendet wird. Im Gutachten „E-Government in Deutschland: Wie der Aufstieg gelingen kann“ wurde vorgeschlagen, den Servicestandard durch Neufassung des IT-Staatsvertrags mit der notwendigen Verbindlichkeit auszustatten. Die Einhaltung des Standards sollte durch einen Beirat für Servicestand-Assessments überprüft werden. Dazu wäre es nötig, eine dem GDS vergleichbare Digitalisierungseinheit auch in Deutschland aufzubauen, die nicht nur Prüfverfahren organisieren kann, sondern auch die Ressourcen hat, Beratung und Weiterbildung anzubieten. Mit DigitalService4Germany und dem Digital Innovation Team auf Bundesebene und vielen weiteren vergleichbaren Innovationseinheiten in Ländern und Kommunen sind bereits Einheiten ersichtlich, die sich ohnehin intensiv mit den Prinzipien des Servicestandards beschäftigen und diese vertreten. Gegebenenfalls wäre für Deutschland auch eine Netzwerk-Organisation denkbar, die Assessments lokal, aber nach gemeinsamen Regeln ablaufend, durchführt. Beim internationalen Vergleich der personellen Ausstattung ähnlicher Organisationen wird deutlich, dass noch erheblicher Aufholbedarf besteht: Beim Government Digital Service arbeiten rund 850 Beschäftige. Hochgerechnet auf Deutschland liegt der Personalbedarf natürlich weitaus höher.

  • Digitaltaugliches Recht von Anfang an: Wichtig ist, dass der Servicestandard explizit beinhaltet, Hürden für digitalen Gesetzesvollzug aufzudecken und abzubauen. Die nachträgliche Bereinigung von Digitalisierungshindernissen ist aber immer mit großem Aufwand verbunden, wie die eher mageren Ergebnisse bisheriger Normenscreenings zeigen. Zentral ist daher, das Recht von Anfang an digitaltauglich zu gestalten. Als Vorbild dafür kann Dänemark gelten: Die dänische Digitaltauglichkeitsprüfung ist seit Mitte 2018 verbindlicher Teil des Gesetzgebungsverfahrens. Sie basiert auf einer Übereinkunft aller im dänischen Parlament vertretenen Parteien. Hemmnisse eines digitalen Gesetzesvollzugs sollen frühzeitig erkannt und behoben werden („digital-by-default legislation“). Dies wird als wichtigstes Instrument des Bürokratieabbaus angesehen. Ein ressortverbindlicher Leitfaden formuliert und operationalisiert sieben Prinzipien, die von den Ministerien zu beachten sind und von einem Sekretariat kontrolliert werden, das bei der dänischen Digitalisierungsagentur angesiedelt ist. Im Servicestandard wird diesem Aspekt unter Nr. 7 Rechnung getragen. Aus Sicht des NKR kommt ihm größte Bedeutung zu. Es bedarf weiterer Überlegungen, wie Verwaltungsprozess-Design, IT-Anwendungs-Design und Rechts-Design stärker verbunden werden können. Was dies ggf. auch für das Gesetzesvorbereitungsverfahren bedeutet, hat der NKR in seinem Gutachten „Erst der Inhalt, dann die Paragrafen“ beschrieben. [2]

  • Vergleichbarkeit und Transparenz: Zufriedenheit mit digitalen Verwaltungsleistungen soll zukünftig erhoben und transparent gemacht werden. Dies ist nicht nur notwendig, um die Vorgaben der Single-Digital-Gateway-Verordnung zu erfüllen. Ebenso liegt darin großes Potenzial, um durch unabhängig erstellte Rankings die Top-Platzierten entsprechend zu würdigen. Wieso nicht auch einen jährlichen Preis für die höchste Zufriedenheit ausloben? Diese Transparenz könnte dazu beitragen, Fragen der Servicequalität von (digitalen) Verwaltungsleistungen mehr öffentliche Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Damit kann das Thema auch für politische Akteure relevanter werden und die entsprechenden Prinzipien des Servicestandards zu Evaluierung und Wirkungscontrolling unterstützen.

  • Architektur- und Standardisierungsdebatte: Der Bedarf nach Qualitätskriterien geht über das Design und den Betrieb von Verwaltungsleistungen hinaus. Für die  wirtschaftliche Entwicklung und die einfachere Nachnutzung von digitalen Verwaltungsleistungen, aber auch für Betrieb und Weiterentwicklung, sind föderal abgestimmte Schnittstellen und eine orchestrierte  Gesamtarchitektur notwendig. Der Servicestandard beinhaltet viele Anknüpfungspunkte und könnte auch als Klammer für eine technische Standardisierung dienen. Gebraucht werden ein Architekturmanagement und eine Plattform, die für das Zusammenpassen und -wirken der infrastrukturellen Einzelprojekte und Basisdienste sorgen (u. a. Portalverbund, Servicekonten, Register, Verzeichnisdienste). Nötig ist zudem ein Standardisierungsregime, das Schnittstellen, Datenfelder und gegebenenfalls sogar Prozessschritte harmonisiert und Interoperabilitätsregeln festlegt. [3]


[2] Vgl. NKR-Gutachten 2019: „Erst der Inhalt, dann die Paragrafen“, online: www.gute-gesetze.de
[3]
Vgl. Nationaler Normenkontrollrat: „Monitor Digitale Verwaltung #4“, September 2020, online: https://www.normenkontrollrat.bund.de/resource/blob/72494/1783152/14635b15fe7f6902039abcd653de6c61/20200909-monitordigitaleverwaltung-4-data.pdf?download=1

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