Interaktive Workshops mit drei Parlamenten

Die vorläufigen Ergebnisse wurden in Workshops mit Parlamenten diskutiert, wobei ihre Relevanz und Priorität detailliert bewertet wurden. Dabei ging man davon aus, dass jedes Parlament aufgrund seiner eigenen Tradition und Erfahrung unterschiedliche Prioritäten setzt. Wissenschaftliches Interesse bestand darin, zu ermitteln, welche Themen besonders attraktive Mehrwerte bieten, welche Anwendungsfelder sich besser bearbeiten lassen und welche Technologien als Treiber der Entwicklung dienen könnten. Auch sind finanzielle Mittel, Personal und Möglichkeiten zur Gestaltung in Parlamenten sehr begrenzt. Der Einsatz von KI in Parlamenten ist zudem mit erheblichen Risiken für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit verbunden. Das Hauptziel sollte nicht der Einsatz bestimmter KI-Systeme sein, mit all ihren Versprechungen und Herausforderungen. Vielmehr geht es darum, KI als Werkzeug zu nutzen, um die institutionellen Aufgaben und Ziele der Parlamente besser zu erreichen.

Zwischen 2021 und 2023 wurden drei Workshops – in Athen(3), Buenos Aires(4) und Ottawa(5) – digital durchgeführt. An den Workshops nahmen Interessenvertretungen wie Mitarbeitende, Beraterinnen und Berater der Abgeordneten sowie Abgeordnete des griechischen, argentinischen und kanadischen Parlaments teil. Die Teilnehmenden wurden befragt, wie sie die jeweiligen Vorschläge bezüglich Relevanz (Likert-Skala: 0–10) und Priorität (Likert-Skala: 0–10) für 2020–2030 bewerten. Für Griechenland wurden Weiterbildung und Personalgewinnung, Interoperabilität, ethische Aspekte und Diskussionen hoch priorisiert. In Argentinien standen Dokumentensuchdienste, Assistenzdienste für Behinderte, Transparenz durch vernetzte offene Daten und die synchrone Untertitelung von Reden der Abgeordneten im Vordergrund. Vertreterinnen und Vertreter des kanadischen Unterhauses, das mehrsprachig tagt, forderten hingegen KI-basierte Übersetzungsdienste, Suchdienste, Cybersicherheitsdienste und Texterkennungsdienste ein. Eine Relevanzbewertung von ≥ 7,5 erhielten 119 Vorschläge in Athen, 65 Vorschläge in Buenos Aires und 35 Vorschläge in Ottawa (bei Betrachtung des Durchschnitts: 50 Vorschläge). Zur zeitlichen Umsetzung der 210 Vorschläge gab es unterschiedliche Vorstellungen. Sehr optimistisch wurde beim griechischen Workshop ein Zeitrahmen von Dezember 2021 bis November 2026 vorgesehen. Im Rahmen des argentinischen Workshops wurde ein Zeitraum von Januar 2024 bis Januar 2030 vorgeschlagen. Beim kanadischen Workshop lag der Zeitraum von April 2024 bis Juni 2029.

Die Ergebnisse unterstreichen ein bemerkenswert hohes Interesse der Teilnehmenden an KI für die künftige Arbeit der Parlamente. Sie sehen diese Themen überwiegend als künftige Themen, mit denen sich die Parlamente zum Teil bereits auseinandersetzen. Eine gewisse Korrelation zwischen Relevanz und Priorität wird in der visuellen Analyse der Ergebnisse deutlich. Vorschläge mit höherer Priorität sollten schneller umgesetzt werden. Projekten mit einer niedrigeren Priorität wird mehr Zeit für die Umsetzung eingeräumt. Die F&E-Agenda scheint zudem ein wertvoller Ausgangspunkt für interne Vorbereitungen zur Einführung von KI-Technologien in Parlamenten zu sein. In ersten vergleichenden Analysen wurde festgestellt, dass die Bewertung von Relevanz und Priorität für viele Vorschläge unterschiedlich ausfiel. Abweichungen fallen besonders deutlich bei den Top-10-Ergebnissen für Relevanz und Priorität ins Auge. Zudem gibt es bisher noch keine technologischen Treiber, die sich bereits zu Triebkräften einer zeitnahen flächendeckenden Umsetzung entwickelt haben. Aufgrund der unterschiedlichen Eindrücke und Erkenntnisse sowie der kulturellen Eigenheiten der Parlamente, ihrer Organisation, ihrer Mitarbeitenden, ihrer Prozesse und ihrer Technologieakzeptanz muss erwartet werden, dass jedes Parlament die Einführung von KI anders angehen wird. Die denkbare Vielfalt an Möglichkeiten und der technische Fortschritt kann auch überfordernd wirken. Insofern erscheint es wichtig und notwendig, sich Kompetenzen und Kenntnisse in diesem sich schnell entwickelnden Bereich anzueignen, in dem auch in den nächsten Jahren immer wieder neue und verbesserte KI-basierte Technologien auftauchen werden, die parlamentarische Arbeitsbereiche disruptiv verändern könnten.

Chancen und Herausforderungen am Beispiel großer Sprach­modelle in Parlamenten

Gerade mit Blick auf die sich aus generativer KI ergebenden Möglichkeiten stellt sich konkret die Frage, wie Abgeordnete auf KI-basierte Textgenerierung und Analysen im Rahmen ihres Mandats zugreifen werden. Selbst wenn ein Zugriff von der Parlamentsverwaltung abgelehnt wird, muss damit gerechnet werden, dass sich Abgeordnete und ihre Mitarbeitenden entsprechend große Sprachmodelle (Large Language Modell – LLM) oder Webdienste eigenständig im Internet besorgen und diese für ihre Mandatszwecke eigenverantwortlich einsetzen. Schließlich eröffnen sich viele Anwendungsfelder, etwa in der Generierung von Entwürfen für Reden, Antworten für parlamentarische Anfragen und Zusammenfassungen für die Abgeordneten. Solche Systeme können neuartige Denk- und Lösungsansätze in Gesetzgebungsverfahren einbringen, auf Unstimmigkeiten verweisen, Texte in einfach verständliche Sprache überführen sowie Analysen und Übersetzungen übernehmen. Mit zielgenauen Prompts lassen sich mit LLMs gezielt Antworten erstellen, die substanziellen Mehrwert bieten. Für viele Akteure im parlamentarischen Raum kann dies eine erhebliche Erleichterung des Arbeitsalltags bedeuten. Daher ist zu erwarten, dass die Nachfrage nach Fortbildungsangeboten zum richtigen Umgang mit LLMs zunehmen wird.

Im Juli 2023 diskutierten internationale Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und parlamentarischer Praxis im Rahmen eines Workshops in Friedrichshafen über erste LLM-Prototypen und deren Folgen für Parlamente.(6) LLMs können schnell auf über Prompts gestellte Anfragen reagieren. In Sekundenschnelle generieren sie Antworten und vermitteln dabei einen verständlichen, sprachlich versierten Eindruck. Dahinter steckt jedoch keine Intelligenz, sondern ein Sprachmodell mit viel Wissen, das in kurzer Zeit Zeichen, Wörter, Daten, Antworten und Informationen liefert. Dank ihrer Lernfähigkeit können sie auch in Zukunft neue Inhalte aufnehmen. Auch Sprachübersetzungen werden nahezu in Echtzeit möglich. LLMs können Vorformulierungen für Analysen erstellen und beim Brainstorming hilfreich sein. Allerdings fehlt den klassischen LLMs die notwendige Sensibilität gegenüber Fehlinformationen. Sie nehmen erlernte Informationen als gegeben an, unabhängig davon, ob diese richtig oder falsch sind. Manchmal produzieren sie dann Halluzinationen, also sprachlich passende Antworten auf eine gestellte Frage, die aber nicht oder nur teilweise der Wahrheit entsprechen. LLMs könnten auch von böswilligen Personen über verzerrend wirkende Trainingsdaten manipuliert worden sein, ohne dass dies in den Antworten direkt erkennbar wäre, etwa um eine (politische) Beeinflussung der Antworten zu bewirken. Dies kann zu Fehlern und zur Diskriminierung von bestimmten Gruppen führen. All dies legt nahe, dass ein Einsatz nur dann erfolgen sollte, wenn die Verantwortlichen bereit und in der Lage sind, die inhaltliche Verantwortung für die generierten Beiträge zu übernehmen. Abhängigkeiten, Lock-In-Effekte, Sicherheitsrisiken und technische Schwachstellen müssen ebenso berücksichtigt werden wie mangelnder Datenschutz und fehlende Privatsphäre, wenn LLM-Systeme auf der Grundlage von Eingaben mit echten personenbezogenen Daten lernen. Zudem gab es eine Debatte darüber, ob diese Systeme im Parlament überhaupt eingesetzt werden sollten und wer für ihren Einsatz verantwortlich wäre. Darüber hinaus wurde diskutiert, ob und wie der Einsatz dieser Systeme in der Praxis festgestellt werden kann.


3 Jörn von Lucke und Fotios Fitsilis: Einschätzungen aus dem griechischen Parlament zum Einsatz von künstlicher Intelligenz in Parlamenten, in: Gunnar Auth et al. (Hg.): 6. Fachtagung Rechts- und Verwaltungsinformatik (RVI 2023) – Nachhaltiges und digitales Regierungs- und Verwaltungshandeln in der vernetzten Gesellschaft, Bonn 2023, S. 122–143. Siehe auch online.
4 Jörn von Lucke und Fotios Fitsilis: Einschätzungen aus der argentinischen Abgeordnetenkammer zum Einsatz von künstlicher Intelligenz in Parlamenten, in: Erich Schweighofer et al. (Hg.): Sprachmodelle – Juristische Papageien oder mehr? Language Models – Legal Parrots or more? – Tagungsband des 27. Internationalen Rechtsinformatik Symposions IRIS 2024, Bern 2024, S. 129–144.
5 Jörn von Lucke et al.: Using Artificial Intelligence in Parliament – Initial Results from the Canadian House of Commons, in: EGOV 2024 (20) Ongoing Paper Proceedings, in Druck.
6 Fotios Fitsilis et al.: Forschungsworkshop über künstliche Intelligenz in Parlamenten am 3./4. Juli 2023 in Friedrichshafen, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen, 54/3 (2023), S. 724–730.


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