Ein bedeutendes Produkt des AWV-Arbeitskreises 4.6 ist der elektronische Rechnungsaustauschstandard ZUGFeRD 1.0, der im Jahr 2014 veröffentlicht werden konnte. ZUGFeRD 1.0 ist ein erstes Format, welches sowohl eine elektronische als auch eine manuelle Rechnungseingangsverarbeitung ermöglicht. Die flexiblen Weiterverarbeitungsoptionen sind darin begründet, dass ZUGFeRD aus einem PDF und darin eingebetteten strukturierten Rechnungsinformationen, einer XML-Datei, besteht. Diese hybride Struktur ermöglicht einen leichten Zugang zum elektronischen Rechnungsaustausch. Frühere Formate und Standards konnten den elektronischen Rechnungsaustausch nur unter Einsatz hoher Investitions- und Pflegeaufwände bieten. Somit kann ZUGFeRD als "Brückentechnologie" bezeichnet werden.

Europäische Grundlagen
Ebenfalls im Jahr 2014 wurde von der Europäischen Kommission die EU-Richtlinie 2014/55/EU über die elektronische Rechnungsstellung bei öffentlichen Aufträgen veröffentlicht. Diese Richtlinie hat erstmals gemeinsame Standardelemente für alle Rechnungen gefordert, um Komplexität, Rechtsunsicherheiten und Betriebskosten der Wirtschaftsteilnehmer zu minimieren und den europäischen Binnenmarkt zu stärken. Die zugehörige europäische Norm EN16931, in der technische Umsetzungsdetails der Richtlinie konkretisiert werden, wurde vom Europäischen Komitee für Normung (European Committee for Standardization, kurz CEN) im Auftrag der europäischen Kommission erarbeitet und in 2017 herausgegeben.

Dieser europäische Schritt stellt einen Meilenstein dar, denn in der Norm wird erstmalig ein Standard definiert, der eine branchenübergreifende Kern-Rechnung für den internationalen Austausch abbildet. Rechnungsersteller und Rechnungsempfänger können bei Verwendung der Norm sicher sein, dass der Informationsaustausch innerhalb eines klar definierten technischen Rahmens stattfindet. Bis dahin war es beim Rechnungsaustausch üblich, Details zum verwendeten Übertragungsformat bilateral zu vereinbaren. Allgemeingültigkeit war daher nicht gegeben; allenfalls konnte auf branchenspezifische Formate zurückgegriffen werden.

Um den europäischen Anforderungen gerecht zu werden und einen länderübergreifenden Umsetzungsansatz voranzutreiben, verstetigt das FeRD seit 2015 die Zusammenarbeit mit den französischen Kollegen des "Forum National de la Facture Electronique et des Marchés Publics Electroniques" (FNFE-MPE). Diese Zusammenarbeit spiegelte sich auch bei der Deutsch-Französischen Digitalkonferenz des BMWi im Jahr 2016, bei welcher der gebündelte deutsch-französischen Einsatz beim elektronischen Rechnungsaustausch gewürdigt wurde. Künftig sollen das hybride französische Format der elektronischen Rechnung „Factur-X“, welches auf den Entwicklungen von ZUGFeRD 1.0 aufbaut, und ZUGFeRD weiter zusammenwachsen.

Das "Forum elektronische Rechnung Deutschland" hat sich der Entwicklung eines Formates für den elektronischen Rechnungsaustausch auf Basis der EU-Richtlinie 2014/55/EU, der europäischen Norm EN16931 und in Kooperation mit den Experten des FNFE-MPE angenommen und als Folge im März 2019 den Standard ZUGFeRD 2.0 veröffentlicht. Ein Jahr später gelang es dem FNFE-MPE und dem FeRD, zwei vollständig kompatible und technisch identische Formate zur elektronischen Rechnungsstellung zu veröffentlichen.

Neben dem Einsatz dieses Rechnungsaustauschstandards in der Wirtschaft ist dank der stetigen Weiterentwicklung von ZUGFeRD mit der Veröffentlichung der ZUGFeRD-Version 2.1.1 seit dem 01. Juli 2020 auch der Rechnungsversand an öffentliche Auftraggeber in Deutschland möglich. ZUGFeRD in der Version 2 wird aktiv gepflegt und weiterentwickelt. Derzeit befindet sich die EN16931 in einem sogenannten Reviewprozess. Vertreter des FeRD bringen sich über das Deutsche Institut für Normung (DIN) bei der Überarbeitung dieser Norm im Sinne der Anwender beim CEN ein. Die Verbreitung der vollelektronischen Verarbeitung von Rechnungen wird in den nächsten Jahren unter Wahrung der rechtlichen  Rahmenbedingungen und deren Fortschreibung fortgesetzt werden.

Weiterentwicklung elektronischer Geschäftsprozesse
Heute mag nach den "wilden" Zeiten der elektronischen Rechnungsverarbeitung ein erster Schritt zu einer Standardisierung geschafft worden sein – das Tempo der technologischen Entwicklungen bleibt jedoch hoch. Innerhalb des FeRDs wird derzeit in Zusammenarbeit mit französischen Forum FNFE-MPE der elektronische Bestellstandard Order-X entwickelt. Dadurch, dass dieser Standard wie ZUGFeRD auch als hybrides Format angelegt ist und sich des gleichen Datenmodells bedient, greifen beide Formate ineinander. So ist aktuell nun auch das Thema elektronische Beschaffung ein gutes Beispiel dafür, welche Herausforderungen mit der Digitalisierung in Wirtschaft und Verwaltung einhergehen.

Der Trend zu international einheitlichen Formaten und Standards wird sich künftig fortsetzen und die weitere Automatisierung und Digitalisierung von Geschäftsprozessen beeinflussen. Als ein großes Thema sei hier nur das Stichwort Blockchain, also die Möglichkeit der Transaktionsprotokollierung, genannt. Auch ist es wahrscheinlich, dass die Entwicklungen auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz in der elektronischen Geschäftskommunikation eine immer bedeutendere Rolle spielen werden. Es gibt also noch viele Themen und Fragestellungen, denen sich die AWV im Hinblick auf Standardisierung und Rationalisierung in Zukunft wird widmen können.

   

  

   

Über den Fachausschuss 4 "Internationale Handelsverfahren und Fragen der elektronischen Kommunikation"
Der AWV-Fachausschuss (FA) "Handelserleichterungen" wurde 1976 neu gegründet. Er war zu diesem Zeitpunkt einer von acht AWV-Fachausschüssen – u. a. neben den Fachausschuss "Organisation und Datenverarbeitung" und ab 1978 zusätzlich noch neben dem Fachausschuss "Datenschutz und Datensicherung". Im Jahr 1980 wurde dessen Name in "Internationale Handelserleichterungen" erweitert und 1996 dann in "Internationale Handelsverfahren" umbenannt. Von 1997 bis 2009 lief der FA 4 unter der Bezeichnung "Vereinfachung internationaler Handelsverfahren – technische und rechtliche  Aspekte des elektronischen Geschäftsverkehrs". Seit 2010 kennen wir den FA 4 unter der Bezeichnung "Internationale Handelsverfahren und Fragen der elektronischen Kommunikation". Heute existieren  unter dem Dach des FA 4 die folgenden drei Arbeitskreise (AK): "Verfahren im internationalen Handel" (AK 4.1), "Datenschutz und Informationssicherheit" (AK 4.3) sowie das "Forum elektronische Rechnung Deutschland (FeRD)" (AK 4.6).

Nachgefragt: AWV-Interview mit dem Fachausschussvorsitzenden Reinhard Fischer (Deutsche Post DHL Group, Bonn)
Ein Interview mit dem Fachausschussvorsitzenden Reinhard Fischer finden Sie hier.

     

   

  

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