OZG – bringt die Wende
Aufbauend auf diesem grundgesetzlichen Innovationssprung, dessen Zustandekommen auch im Zusammenhang mit der Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen stand, haben Bund und Länder mit dem Onlinezugangsgesetz 2017 eine beispiellose Digitalisierungsoffensive begonnen. Auf Basis einer auch mit Blick auf die Dimensionen des Vorhabens (die flächendeckende Digitalisierung von Verwaltungsleistungen auf allen föderalen Ebenen) beeindruckend schnell aufgebauten konzeptionellen, methodischen und operativen Gesamtsteue­rung des ambitionierten Projekts durch das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, ist die Umsetzung in allen 14 Themenfeldern aktuell in vollem Gange. Zudem stellt die Bundesregierung im Rahmen ihres pandemiebedingten Konjunkturpaketes zusätzliche Finanzmittel in Milliardenhöhe bereit. Im Ergebnis bestehen aktuell also günstige Rahmenbedingungen, um den langjährigen digitalen Entwicklungsrückstand Deutschlands im Bereich der öffentlichen Verwaltung aufzuholen. Dies setzt jedoch voraus, dass Bund und Länder ihre Aktivitäten Ende 2022 nicht einfach „erfolgreich beenden“, sondern den Prozess der OZG-Umsetzung eher als einen erfolgreich gemeinsam gemeisterten Start zu einer notwendigen, grundlegenden Reform der Arbeitsteiligkeit des föderalen Mehrebenensystems auf der Basis neuer technischer und rechtlicher Möglichkeiten sowie veränderter Anforderungen seitens der Bürger und der Unternehmen begreifen.(6)

Staat als Plattform
Die digitale Abwicklung von Verwaltungsleistungen über Serviceportale, bestenfalls nach dem „Einer für Alle“-Prinzip (EfA), kann und wird nur den Einstieg in die digitale Transformation des öffentlichen Sektors darstellen. Denn nicht digitale Zugangswege, sondern neue Formen und Strukturen der informationstechnischen Zusammenarbeit bilden den Kern der digitalen Transformation. Im Bereich der öffentlichen Verwaltung betrifft das nicht nur das Zusammenwirken einer Vielzahl von Behörden untereinander (Government to Government), sondern vor allem auch die Schnittstel­len zur Wirtschaft (Government to Business). Gerade hier gilt es mit Blick auf den oben erwähnten „Weckruf“ der EFI-Kommission, neue Formen der Vernetzung von Daten und Diensten zu entwickeln, zu erproben und zu implementieren. Dabei wird vor allem der vollständig maschinellen Abwicklung von Massenprozessen (Maschine-zu-Maschine-Kommunikation) sowie einer höheren Automatisierung von Prozessen (z. B. durch den Einsatz von KI) eine steigende Bedeu­tung zukommen. Vor diesem Hin­tergrund ist schon heute absehbar, dass sich eine flächendeckende Optimierung von unternehmensbezogenen Genehmigungsprozessen oder Berichtspflichten wirklich effizient nur über plattformbasierte Architekturen umsetzen lassen wird. Dabei ist ein branchenorientierter Ansatz besonders vielversprechend, da hier die Anforderungen seitens der Wirtschaft bundesweit oder sogar europaweit meist homogen sind und sich auf Basis der inhärenten Bündelungsfunktion von Plattformarchitektu­ren auch auf Verwaltungsseite erheb­liche Skaleneffekte realisieren lassen. In diesem Sinne kommt branchenorientierten Initiativen im Bereich E-Government (z. B. in der Metropolregion Rhein-Neckar) aktuell eine wichtige Vorreiter- und Katalysatorrolle im Bereich der Verwaltungsinformatik zu.

EfA und die digitalen Zwillinge
In Bezug auf Entwicklung und Etablierung plattformbasierter IT-Infra­strukturen im Bereich des öffentlichen Sektors kommt den aktuellen Entwicklungstrends im Bereich Smart City / Smart Regions eine besondere Bedeutung zu. Aufbauend auf zahlreichen konzeptionellen Vorarbeiten mit einem ganzheitlichen fachlichen Fokus im Bereich der Digitalisierung öffentlicher Infrastrukturen (Energie, Verkehr, Gesundheit, Bildung, Verwaltung) beschäftigen sich inzwischen zahlreiche Kommunen und Regionen mit dem Aufbau kooperativer Dateninfrastrukturen sowie offener urbaner Plattformen. Bund und Länder unterstützen diese Entwicklung massiv mit Fördermitteln – leider ohne so leistungsfähige Kooperations- oder Steuerungsstrukturen wie im Bereich der OZG-Umsetzung. Dennoch kommt den inzwischen gut 100 Pilotprojekten ebenfalls eine wichtige En­abler- oder Beförderungsfunktion zu, denn nahezu alle diese Projekte orientieren sich an der DIN-Spezifikation 91357 für offene urbane Systeme. Diese Spezifikation beschreibt eine verteilte Plattformarchitektur (System-of-System), deren funktionaler Kern ein hochleistungsfähiges, cloudbasiertes IT-System ist, welches sich mit bestehenden Anwendungen der „klassischen“ Verwaltungsinformatik kaum vergleichen lässt. Daher lassen sich hier bereits einige interessante Entwicklungen beobachten, die vermutlich erst in einigen Jahren in anderen Bereichen der Verwaltung zu erwarten sein werden.

Das betrifft einerseits die Verschiebung von funktionalen IT-Bausteinen von bisher überwiegend dezentralen „Fachverfahren“ in Richtung plattformbasierter Algorithmen-Sammlungen und Apps sowie vergleichbare Verschiebungen im Bereich der Datenhaltung in Richtung anwendungs-, ressort- und verwaltungsübergreifender (kooperativer) Dateninfrastrukturen auf der Basis von standardisierten Datenräumen und digitalen Zwillingen. Hinter diesen Entwicklungen steckt die weitreichende Perspektive, in Zukunft die gesamte gebaute Umwelt einschließlich ihrer technischen Infrastrukturen nicht nur abbilden zu können, sondern solche Dateninfrastrukturen zur Simulation von Prozessen oder sogar zur primären Steue­rung von Infrastrukturen (z. B. im Bereich der Verkehrslenkung) einzusetzen. Dabei gilt es, bereits heute bestimmte Gestaltungsprinzipien zu beachten, um solche gemeinwohlorientierten Infrastrukturen digital souverän und unter Beachtung eines gesellschaftlich breiten Wertekanons aufzubauen. Dazu gehört übrigens auch die Herausforderung, dass staatliches Handeln marktwirtschaftlich getriebene Prozesse grundsätzlich nicht ausschließt, sondern bestenfalls sogar befördert. Ein aktuelles Beispiel hierfür ist die Initiative GAIA-X, die u. a. sowohl den Einsatz sicherer, offener Technologien, aber auch die Etablierung datenbasierter Ökosysteme in Wirtschaft und Gesellschaft fördert. Ein weiteres Beispiel ist die Entwicklung und Bereitstellung einer interkommunal nutzbaren offenen urbanen Plattform auf der Basis von Open-Source-Software, wie sie durch das 2021 aus zwei Fraunhofer-Instituten ausgegründete Datenkompetenzzentrum für Städte und Regionen (DKSR) vorangetrieben wird.


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6 Vgl. hierzu Prof. Dr. Margit Seckelmann / Marco Brunzel: OZG – notwendig, aber auch hinreichend?, in: Innovative Verwaltung 7–8/2021, S. 22 f.