Aufgrund dieser Eigenschaften ließ sich der Sprachstil nicht allein durch die Einsicht in die Notwendigkeit verändern. Die im Projekt zur Überarbeitung des Ablehnungsbescheids gewählte Herangehensweise begriff Verwaltungstexte nicht als isolierte Produkte, sondern als arbeitsteilig hergestellt und getragen von individuellen Akteuren, die unter anderem durch ihre organisationskulturelle Umgebung geprägt wurden. Folglich wurde großen Wert darauf gelegt, nicht nur die für die Texterstellung oder den Gebrauch der Texte maßgeblichen Beschäftigten in das Projekt einzubeziehen, sondern darüber hinaus auch möglichst viele Beschäftigte positiv auf die Veränderung des Sprachstils einzustimmen. Wer nicht direkt beteiligt war, wurde im Rahmen von Präsentationen und Diskussionsrunden über das Geschehen informiert. In den Mitarbeiterzeitschriften und im Intra­net bekundeten zudem die Geschäftsführungen ihre Unterstützung des Projekts.

Am Anfang der Überarbeitung standen Befragungen von Mitarbeitern der Auskunfts- und Beratungsdienste sowie aus der Sachbearbeitung. Das Ziel war es, zu ermitteln, welche Inhalte der Bescheide die häufigsten Nachfragen hervorriefen und welche Aussagen am ehesten zu Missverständnissen führten. Von besonderem Interesse war auch, welche Antworten und Antwortstrategien die Mitarbeiter im Beratungsgespräch verwendeten, um die Fragesteller zufriedenzustellen. Diese Antworten und Informationen sollten nach Möglichkeit für die Neuformulierung der Bescheide genutzt werden.

Für die eigentliche Textarbeit wurde ein Projektteam zusammengestellt. Es bestand aus Vertretern der fachlichen Arbeitsgruppen, die für die Bescheidschreibung zuständig waren, der IT, Vertretern der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit sowie einem externen Berater aus dem FÖV. Nach einem einführenden Seminar durch den externen Berater befasste sich das Projektteam eingehend mit der sprachlichen und gestalterischen Aufbereitung der vorhandenen Texte. Ausgangspunkte waren Bescheidmuster zu typischen Fallkonstellationen, die mit zunehmender Komplexität in die Betrachtung einbezogen wurden. Daraus entwickelte das Projektteam „Modell-Bescheide“, deren Konzept mit der Einbeziehung jedes weiteren Bescheidmusters fortentwickelt wurde. Am Schluss stand eine Reihe prototypischer Modelle, die als Grundlage für die Programmierung dienen konnten.

Vor der technischen Umsetzung mussten sich die neuen Modelle jedoch einer qualitativen Evaluation durch ein Marktforschungsinstitut stellen. Die Untersuchung zeigte, dass die überarbeiteten Bescheide wie erhofft besser verstanden wurden, sie wirkten übersichtlicher und freundlicher. Zur Absicherung dieser Ergebnisse wurde eine weitere, quantitative Evaluation begonnen: Im Rahmen einer Vorher-Nachher-Studie wurden jeweils über mehrere Monate hinweg in ganz Deutschland mehr als 800 Beratungsgespräche zu den Ablehnungsbescheiden untersucht. Dabei zeigte sich, dass nach der technischen Umsetzung der neuen Bescheide Anzahl und Dauer der erforderlichen Beratungsgespräche deutlich zurückgingen. Die Kunden fühlten sich durch den neuen Bescheid besser informiert und konnten auf dieser Grundlage die Entscheidung oftmals besser akzeptieren. Verständliche und freundliche Bescheide – so viel wurde klar – erleichtern die Arbeit, sparen Zeit und verringern die ohnehin schon niedrigen Verwaltungskosten der Deutschen Rentenversicherung.

Mit dem Erfolg im Rücken entwickelte die Deutsche Rentenversicherung schließlich ein Gesamtkonzept für die Optimierung von Bescheiden und Informationsschreiben, das sich rentenversicherungsweit auf alle Schreiben übertragen lassen sollte. Aufhänger für das Gesamtkonzept waren die Rentenbewilligungsbescheide, die im Rahmen der Kundenbefragung 2007 ebenfalls kritisiert wurden. Seit 2015 wird nun dieses umfangreiche Projekt schrittweise umgesetzt. Die Bescheide sollen am Ende übersichtlicher, verständlicher, persönlicher, kürzer und zeitgemäßer sein. Die stufenweise Umsetzung ermöglicht es, sichtbare Verbesserungen nach jedem Teilschritt zu erreichen, ohne auf die komplette Überarbeitung der rund 10.000 Textbausteine und die Neuprogrammierung der Struktur warten zu müssen.

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