Wo liegen aus Ihrer Sicht die besonderen Potentiale des AWV-Fachausschusses für Verwaltungsmanagement und -modernisierung? Welche Themen sollten Ihrer Einschätzung nach in den nächsten Jahren noch stärker in den Vordergrund gerückt werden?

Dr. Christian Schulz: Der Fachausschuss 1 soll Unternehmens- bzw. Behördenorganisationen helfen, zur Sicherstellung der Leistungsfähigkeit und Wettbewerbsfähigkeit beizutragen. Die dort bearbeiteten Themen zeichnen sich durch einen hohen Praxisbezug aus. Hinzu kommt die einmalige Konstellation, dass private Wirtschaft und öffentlicher Sektor gemeinsam und auf neutraler Ebene an transferorientierten Hilfestellungen, z. B. in Form von Best Practice-Beispielen, arbeiten können. Hervorzuheben ist dabei der hohe Wert der sehr engagierten, ehrenamtlichen Mitarbeit aus dem Kreis der Mitglieder. Damit verfügt der Fachausschuss über ein hohes Potenzial, das meinem Wissen nach in dieser komprimierten und sektorenübergreifenden Form in kaum einer anderen Non-Profit-Organisation so vorhanden sein dürfte. Alle derzeit im Fachausschuss 1 bearbeiteten arbeitskreisbezogenen Themenstellungen weisen daher eine hohe praktische Relevanz auf. Naturgemäß wirkt die immer stärker in den Vordergrund tretende Digitalisierung als Querschnittsthema direkt oder mittelbar in die einzelnen Arbeitskreise ein. Neu in den Fokus kommenden Phänomene und Fragestellungen können Eingang in die Bildung eines neuen Arbeitskreises oder einer neuen Projektgruppe nehmen.

Die Digitalisierung ist aktuell in aller Munde. Das Bundesverwaltungsamt, für das Sie in leitender Funktion tätig sind, setzt seit vielen Jahren auf eine Kombination aus Dienstleistung, Service und zeitgemäßen IT-Strukturen, um eine Verwaltungsoptimierung auf allen Ebenen voranzubringen. Welche Erwartungen haben Sie  – aus Sicht der Verwaltung – in Bezug auf die Digitalisierung? Wie wird die digitale Verwaltung, sagen wir, in 20 Jahren aussehen?

Dr. Christian Schulz: Ein komplettes Überdenken bzw. Neudenken der Kommunikationskanäle und der Art und Weise der Erbringung öffentlicher Verwaltungsleistungen ist allein schon mit Blick auf den sich abzeichnenden Fachkräftemangel ohne Alternative. Daher habe ich zunächst die Erwartungshaltung, dass Digitalisierung nicht als Risiko, sondern als einzig verbleibende Handlungsmöglichkeit zur Sicherstellung einer zeitgemäßen Dienstleistungserbringung angesehen wird. Uns bleibt hier auch keine Alternative. Denn unsere Kunden, seien es Bürgerinnen und Bürger, Unternehmen oder öffentliche Institutionen, aber auch nicht zuletzt unsere Beschäftigten erwarten von uns eine kundenorientierte, effiziente und schlicht moderne Verwaltung.

Konkret bedeutet das für mich im Bundesverwaltungsamt, dass ich an der Umsetzung der Digitalen Agenda des Amtes mitwirken werde. Unsere Digitale Agenda ­„BVA.digital 2022“ setzt dabei auf fachübergreifende und fachspezifische Maßnahmen, die Umsetzung der entwickelten Maßnahmen mit klaren Verantwortlichen und ambitionierten Meilensteinen anhand einer Roadmap sowie ein kontinuierliches Wirkungscontrolling aller Maßnahmen im Hinblick auf das Erreichen des Digitalen Zielbilds.

In der Zukunft wird eine digitale Verwaltung meines Erachtens durch selbstlernende approximationsbasierte Systeme in der Lage sein, auch komplexere Fallgestaltungen mit Ermessensspielräumen ebenso rechtmäßig wie effizient vollelektronisch zu bearbeiten. Das staatliche Mehrebenensystem wird bei der Antragstellung nur noch eine Rolle im „back-office“ spielen, da es einen einheitlichen mehrkanalfähigen und sicheren Zugang zu allen Verwaltungsdienstleistungen geben wird. Dem „Once   Only“-Ansatz wird hierbei eine wichtige Funktion zukommen, damit Daten nur einmalig und nicht wiederkehrend bei jedem neuen Geschäftsvorfall erhoben werden. Die Vorgaben des Datenschutzes sind hierfür zukunftsfähig neu auszutarieren. Bereits in fünf Jahren wird der innovationsgetriebene Leistungs- und Anpassungsdruck auf die Verwaltung immens steigen. So werden beispielsweise Distributed Ledger-Technologien überkommene, papiergebundene Registerverfahren massiv unter Druck setzen. Um den damit einhergehenden Paradigmenwechsel zu meistern, müssen Führungskräfte bereits jetzt beginnen, agil zu denken und zu handeln. Auch in der Verwaltung müssen neue Berufsfelder, z. B. für Data Scientists, geschaffen und entsprechende Experten gewonnen werden. Auch wenn dies eine Projektion in die Zukunft darstellt, müssen bereits jetzt erste Weichen dafür gestellt werden. – Zusammenfassend geht es um nichts weniger als die Fragestellung, welche Aufgaben und welche Rolle die Verwaltung in der digitalen Gesellschaft haben wird.

Herr Dr. Schulz, wir danken Ihnen für das Gespräch!

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