Neue Daten­zugangs­möglich­keiten für öffent­liche Stellen

Neu ist ebenso die Verpflichtung von Unternehmen, öffent­lichen Stellen Daten zur Verfü­gung zu stellen. Dies gilt, wenn die Daten für die Erfüllung einer Aufgabe im öffent­lichen Interesse erfor­derlich sind und eine außer­ge­wöhn­liche Not­wendigkeit besteht. Klein- und Kleinst­unternehmen sind von der Bestimmung ausge­nommen. Eine außer­ge­wöhn­liche Not­wen­digkeit liegt bei einem öffent­lichen Not­stand, wie z. B. einer Pandemie, vor. Unter die Defi­ni­tion des öffent­lichen Not­stands fällt bei­spiels­weise ein Daten­bereit­stellungs­verlangen einer öffent­lichen Stelle auf aggre­gierte Stand­ortdaten, um im Zusammen­hang mit der COVID-19-Pandemie die Bewegungs­ströme der Bevölkerung nach­zu­voll­ziehen. Auch die Verhin­derung oder Erholung von einem öffent­lichen Notstand fällt unter die Kategorie der außer­ge­wöhn­lichen Not­wendigkeit. Drittens besteht eine außer­gewöhn­liche Notwen­dig­keit, wenn öffent­liche Stellen die Daten zur Erfüllung spezi­fischer, ausdrück­lich im Gesetz festge­legter Aufgaben benötigen und nicht ander­weitig auf diese zugreifen können bzw. sich dadurch der Verwaltungsaufwand der Dateninhaber oder anderer Unternehmen erheblich verringern würde.

Grundsätzlich ist zu befürworten, dass der Staat die notwen­digen Mittel hat, um auf öffent­liche Notstände zu reagie­ren und so das Wohl der Bevöl­kerung zu schützen. Aber wie so oft liegt der Teufel im Detail. Insbe­son­dere der dritte Punkt, welchen die Kommission als außer­ge­wöhn­liche Notwen­digkeit ansieht, ist ausufernd. Fast jeder Daten­wunsch der öffent­lichen Hand könnte hiervon erfasst sein. Das bloße Fehlen von Daten ist kein verhält­nis­mäßiger Grund für einen Daten­zugang. Eine verpflichtende Datenbe­reit­stellung ist eine weit­reichende Einschrän­kung der Freiheit der Unternehmen und ist dement­sprechend nur in echten Notsituationen legitim. Hier muss der Kommissionsentwurf nachgeschärft werden. Es braucht eindeutige Definitionen sowie Schutzmaßnahmen, die einen Missbrauch verhindern und die Rechte der Betroffenen sichern.

Leider verpasst die EU-Kommission mit dem Data Act die Chance, den freiwilligen kooperativen Datenaustausch zwischen privatem und öffentlichem Sektor zu stärken. In der EU gibt es viele Beispiele für erfolgreiche Initiativen zur gemeinsamen Nutzung von Daten, wie der Bericht einer Expertengruppe der EU-Kommission hervorhebt.(5) Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie ließe sich diese Liste um viele weitere Beispiele ergänzen. Die Reaktion auf die Pandemie hat gezeigt, dass die Bereitschaft zur gemeinsamen Nutzung von Daten erheblich zunimmt, sobald der Zweck der gemeinsamen Nutzung klar umrissen ist. Diese positiven Beispiele verdeutlichen das Potenzial des freiwilligen kooperativen Datenaustauschs, da dieser schnell und unbürokratischer ist.

Regulierung von Dateninfrastruktur

Der dritte Bereich des Data Acts adressiert Cloud-Anbieter. Zukünftig müssen Anbieter von Daten­ver­arbei­tungs­diens­ten es ihrer Kundschaft ermög­lichen, zu einem anderen Anbieter der gleichen Dienst­art zu wechseln (sog. Cloud-Switching), indem gewerb­liche, techni­sche, vertrag­liche und organi­sato­rische Hinder­nisse abgebaut werden. So sieht der Data Act eine Reihe von Vertrags­bedingun­gen vor, wie eine Kündigungs­frist von maximal 30 Tagen, eine Klausel, die die Über­tragung der Daten in der Regel innerhalb von 30 Tagen ermöglicht oder eine vollständige Spezi­fizie­rung aller Kate­gorien von Daten und Anwendungen, die während des Wechsels exportierbar sind. Auch Wechselgebühren sollen schrittweise abgeschafft werden.

Im Falle des Anbieterwechsels müssen Cloud-Anbieter ihren Kunden Schnittstellen öffentlich und kostenlos zur Verfügung stellen. Dabei sollen die Datenformate kompatibel mit offenen Interoperabilitätsspezifikationen sein und müssen mindestens in einem strukturierten, allgemein verwendeten und maschinenlesbaren Format exportiert werden können. Die offenen Interoperabilitätsspezifikationen und europäischen Normen für die Interoperabilität von Datenverarbeitungsdiensten sollen für bestimmte, nicht weiter ausgeführte Dienst-arten erarbeitet werden.

Das Bestreben der Kommission, mehr Dynamik in den Cloudmarkt zu bringen, ist begrüßenswert. Jedoch scheint der Vorschlag der EU-Kommission in Teilen zu weitreichend und berücksichtigt nicht ausreichend die Komplexität von Cloud-Switching und Dateninter­operabilität. Dies gilt insbesondere für das Verhältnis zwischen Unternehmen. Einige der Bestimmungen werden in der Praxis nur schwer umzusetzen sein und könnten unbeabsichtigte negative Nebeneffekte haben.

So würde beispielsweise die vorgesehene knappe Kündigungsfrist für Kunden von maximal 30 Kalendertagen zur Beendigung der vertraglichen Vereinbarung mit Datenverarbeitungsdiensten die Geschäftsmodelle vieler Anbieter beeinträchtigen. Umsatzprognosen auf Basis der Vertragslaufzeiten wären kaum möglich. Langfristig könnte dies zu höheren Preisen für die Kunden führen. Ob diese starren Regeln gerade im Unternehmenskontext sinnvoll sind, bleibt fraglich.

Die Einführung von ambitionierten Interoperabilitätsanforderungen für Software-as-a-Service- und Platform-as-a-Service-Diensten könnte zu einer stärkeren Vereinheitlichung der Dienste führen. Hierdurch würde die Entwicklung innovativerer und maßgeschneiderter Lösungen behindert. Im Hinblick auf die Inter­operabilität stellt sich darüber hinaus die Frage der generellen Umsetzbarkeit. Selbst große IT-Unternehmen stehen vor enormen Herausforderungen, wenn es darum geht, Metadatenstandards innerhalb ihrer eigenen Organisation zu formulieren und diese über alle Lösungen hinweg zu pflegen. Wenn es keine durchgängige Interoperabilität innerhalb von Unternehmen gibt, wie soll dann Interoperabilität zwischen Unternehmen erreicht werden?

Wie geht es nun weiter?

Die EU-Kommission sieht vor, dass der Data Act zwölf Monate nach Inkrafttreten gelten soll. Bis dahin hat der Vorschlag noch einen weiten Weg vor sich. Jetzt liegt der Ball beim EU-Parlament und dem Rat der EU. Beide Institutionen müssen erst eine eigene Position erarbeiten, bevor sie sich in den sogenannten Trilogverhandlungen, an denen auch die EU-Kommission teilnimmt, auf einen finalen Text einigen. Sowohl im Rat als auch im Parlament werden die Verhandlungen erst im Herbst 2022 Fahrt aufnehmen. Mit einer Verabschiedung des Data Acts ist nicht vor Sommer 2023 zu rechnen – genug Zeit für notwendige Verbesserungen.            


Zum Thema Data Act hielt der Autor im Rahmen einer Sitzung des Arbeitskreises 4.3 „Datenschutz und Informationssicherheit“ im Juni einen Impulsvortrag über die Auswirkungen auf das deutsche Datenschutzrecht. Die Diskussion zum Data Act wurde vom AK 4.3 im zurückliegenden Arbeitskreistreffen am 22.09.2022 mit Rückblick auf eine Veranstaltung  der DIHK (data-act.org) unter dem Titel: „Data Act – Was kommt auf die Wirtschaft zu?“ fortgesetzt.



5 Vgl. Europäische Kommission (Hg.): Towards a European strategy on business-to-government data sharing for the public interest: final report prepared by the High-Level Expert Group on Business-to-Government Data Sharing, Luxemburg 2020, online: https://data.europa.eu/doi/10.2759/731415 [26.08.2022].



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