In dem ersten Empfehlungsbericht des NKR BW „Bürokratieabbau – gemeinsam einfach“ werden 51 Entbürokratisierungsmaßnahmen vorgestellt. Sie sind das Ergebnis einer Umfrage bei 30 Kammern und Verbänden in Baden-Württemberg – und dementsprechend sehr facettenreich. Welcher Vorschlag hat Sie am meisten überrascht und warum?
Am meisten hat uns überrascht, dass mehrere Interviewpartner darum gebeten haben, bei unbestimmten Rechtsbegriffen und nach Ermessen Vorschriften zu erlassen, die dies eingrenzen. Es wurden also neue Regelungen zur Präzisierung der vorhandenen Regelungen gewünscht. Dies wird damit begründet, dass die Behörden die Spielräume, die ihnen der Gesetzgeber lässt, nicht nutzen, um zugunsten der Bürgerinnen und Bürger und der Wirtschaft praktikable und vernünftige Entscheidungen vor Ort zu treffen. Stattdessen würde der Spielraum im Wesentlichen zu Lasten der Adressaten genutzt, insbesondere, weil die Behörde „auf Nummer sicher gehe“. Dies betrifft vor allem auch technische Auflagen bei Baugenehmigungen und Sicherheitsauflagen, nicht zuletzt bei Straßenumzügen, z. B. von Faschingsvereinen. Diese Motivation im Verwaltungsvollzug ist eines der Grundsatzprobleme, mit denen wir uns auseinandersetzen sollten.

Bei den technischen Auflagen sehen wir das Problem, dass Sachverständigengremien technische Standards erarbeiten, deren Folgekosten nicht berechnet werden und nicht transparent sind. Den Behörden bleibt in der Regel nichts anderes übrig, als sie zu übernehmen. Wir schlagen deshalb in unserem Empfehlungsbericht vor, dass Vertreter von Normadressaten und der öffentlichen Verwaltung Mitglied in den Gremien werden, um auf Ausgewogenheit zu achten. Wir haben den Eindruck, dass hier Maß und Mitte aus dem Blick geraten sind.

Nun gilt es, die theoretisch vorgestellten Maßnahmen in die Praxis zu überführen. Wie bewerten Sie die Umsetzungschancen der vorgestellten Handlungsempfehlungen?
Wir haben sämtliche Vorschläge intensiv mit den Ministerien besprochen und dabei festgestellt, dass kein No-Go darunter ist. Die Landesregierung hat mit dem Regierungsprogramm zur Vermeidung und zum Abbau von Bürokratie 2017 ein klares Signal gesetzt und will auf diesem Gebiet etwas bewegen. Durch den Regierungsbeschluss, dass der NKR BW – wie beim Bund – Vorschläge zum Bürokratieabbau machen soll, ist bei Kammern und Verbänden eine nicht unerhebliche Erwartung entstanden, dass auch tatsächlich etwas umgesetzt wird. Ca. 60 % unserer Vorschläge aus dem ersten Empfehlungsbericht betreffen Landesrecht oder den Verwaltungsvollzug im Land, sodass die Landesregierung dies selbst regeln kann. Dank der Unterstützung des Statischen Bundesamtes konnten wir den Entlastungsgrad bei knapp der Hälfte der Vorschläge berechnen lassen. Danach ergäben sich allein 61 Mio. Euro Einsparungen.

Von bürokratischen Belastungen sind Verwaltung, Wirtschaft und Gesellschaft gleichermaßen betroffen. Inwieweit befürworten Sie den Austausch mit den Normadressaten von Regulierungsvorhaben? Erhöht sich dadurch auch die Akzeptanz und Qualität von Regulierungsvorhaben?
Wenn neue Gesetze auf den Weg gebracht werden, die belastende Folgewirkungen für die Bevölkerung oder die Wirtschaft haben, sollten die Adressaten immer eingebunden werden. Dies geschieht zwar bereits durch die Anhörung einschlägiger Verbände. Dabei werden aber häufig nur die politischen Knackpunkte diskutiert. Der Verwaltungsvollzug spielt eine untergeordnete Rolle. Genau hier zeigt sich aber, ob der Adressat mit der Regelung überhaupt zurechtkommt. Wenn das Unternehmen z. B. die Daten aus dem eigenen Datenbestand automatisiert ziehen und in einem medienbruchfreien Verfahren elektronisch an die Behörde schicken kann, ist die Akzeptanz der Regelung in der Wirtschaft aufgrund der effizienteren Abwicklung deutlich höher.

Reformen in der öffentlichen Verwaltung werden oft von technologischen und digitalen Anforderungen wie elektronische öffentliche Beschaffung, elektronische Rechnungsstellung oder elektronische Zahlung getrieben. Worin sehen Sie die größten Herausforderungen für die öffentliche Verwaltung bei der Umsetzung neuer Regelungen?
Uns würde helfen, wenn wir uns in Bund und Ländern auf ein Big Picture moderner Verwaltung verständigen könnten. Dieses Zielbild müsste eben auch vom Normadressaten ausgedacht werden. Es enthielte die Aspekte einer plattformbasierten (One-Stop-Shop) registernutzenden (Once-Only) Verwaltung, die ihre Leistungen digital zur Verfügung stellt und dabei medienbruchfrei automatisiert arbeitet. Sie würde parallel dazu immer noch die persönliche Ansprache serviceorientierter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anbieten. Von all dem sind wir noch immer weit entfernt. Ein Handwerker kann ja noch nicht einmal medienbruchfrei einen Sonderparkausweis für die Fußgängerzone beantragen und sich zuschicken lassen.

Die Digitalisierung und vor allem die Registerreform spielen bei der Entbürokratisierung eine zentrale Rolle. Darüber hinaus besteht aber ein weiterer Modernisierungsbedarf für unsere Verwaltungen. Hier sehe ich auch einen wichtigen Ansatzpunkt für die Arbeit eines Landesnormenkontrollrats. Es gibt immer noch Verwaltungen, deren Ämter untereinander wenig vernetzt sind und die dem Bürger zumuten, sich mit verschiedenen Behörden wegen einer Genehmigung, z. B. der Baugenehmigung auseinanderzusetzen. Besonders problematisch wird es, wenn Behörden verschiedener Ebenen, also z. B. eine Kommune und ein Landratsamt zuständig sind oder unklar ist, ob das Landratsamt oder das Regierungspräsidium nun eigentlich zuständig ist. Der öffentlichen Verwaltung fällt es schwer, sich in den Normadressaten hineinzudenken. Das erfordert einen erheblichen Kulturwandel. Wenn der Normadressat eine Genehmigung beantragt, benötigt er einen Ansprechpartner, der sich um alles kümmert oder eine Plattform, auf der er alles abwickeln kann.

Frau Dr. Meister-Scheufelen, ganz herzlichen Dank für das ausführliche Interview. Eine letzte Frage: Welches Fazit, vielleicht auch ganz persönlich, können Sie nach zwei Jahren als Vorsitzende bereits ziehen?
Die Gesetzesfolgenabschätzung und der Bürokratieabbau stehen auf der politischen Agenda sehr weit oben. Es ist eine sinnstiftende Aufgabe, an Problemen zu arbeiten, die dringend gelöst werden müssen. Mittelstandspolitische Themen waren mir immer wichtig, deshalb freut es mich, hier etwas für den Mittelstand tun zu können. Außerdem sind wir im Normenkontrollrat Baden-Württemberg ein tolles Team und werden durch hoch motivierte und qualifizierte Mitarbeiterinnen in der Geschäftsstelle unterstützt.

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