Es wird kein einfaches "Back to normal" geben

AWV-Interview mit Larissa Probst, Deutscher Fundraising Verband e. V., Berlin

Frau Probst, als Sie vor knapp einem Jahr gemeinsam mit Dr. Jörg Alvermann die Leitung des AK 1.6 „Bürokratieentlastung und Digitalisierung des Dritten Sektors und des bürgerschaftlichen Engagements“ übernommen hatten, war nicht abzusehen, dass uns die Corona-Pandemie so lange begleiten wird. Wie massiv wirken sich die Folgen auf den Dritten Sektor aus?
Wir alle waren durch die Corona-Pandemie in vielerlei Hinsicht belastet und sind es noch, da ist die Zivilgesellschaft keine Ausnahme. Doch während die Herausforderungen für die Wirtschaft in der Öffentlichkeit intensiv thematisiert werden, finden die Auswirkungen der Krise auf Vereine, Stiftungen und Initiativen wenig Aufmerksamkeit. Daher bin ich dankbar, dass die Maecenata-Stiftung und die engagierte Arbeitsgruppe mit ihren Untersuchungen dazu beiträgt, die Corona-Folgen für den Dritten Sektor sichtbar zu machen.
In der Studie „Zivilgesellschaft in und nach der Pandemie“, für die im vergangenen Dezember 278 Organisationen befragt worden waren, gaben 71 Prozent der Befragten an, in starkem oder sehr starkem Maße durch die Pandemie betroffen zu sein. Dabei sprechen wir beileibe nicht nur von finanziellen Folgen, auch wenn die für 38 Prozent der Befragten schmerzhaft spürbar sind. Doch es hat natürlich auch Auswirkungen, wenn Aktivitäten gestoppt oder auf digitale Formate reduziert werden müssen. Das mindert nicht nur die Möglichkeiten, bisher gewohnte Leistungen zu erbringen, sondern zwingt über 60 Prozent der Befragten auch zu einem veränderten Einsatz der ehrenamtlich Mitarbeitenden: Nicht jedes Mitglied im Sportverein ist bereit oder in der Lage, an einem Online-Sportkurs teilzunehmen, nicht jeder Übungsleiter traut sich zu, statt der gewohnten Übungsstunden Online-Trainings anzubieten. Grundsätzlich hat die Digitalisierung einen Schub erhalten, doch noch immer berichteten gut 37 Prozent der befragten Institutionen, dass eine unzureichende Ausstattung mit Hardware oder aber fehlende digitale Kompetenzen ihnen die notwendigen Umstellungen ihrer Arbeit erschweren.
Viel zu kurz kommt in der öffentlichen Wahrnehmung allerdings auch, welchen Beitrag die Zivilgesellschaft zur Bewältigung der Krise geleistet hat und leistet. Denken Sie nur an die vielen Impf- und Testzentren, die von Organisationen wie dem ASB, den Johannitern oder den Maltesern organisiert werden.

Die Politik hat ein weitge­fächer­tes Angebot von Maßnahmen aufgelegt, um Folgen der Krise zu mil­dern. Wie stark konnte die Zi­vil­gesellschaft davon profitie­ren?
Hilfreich waren sicherlich „Corona-Erleichterungen“ wie der vereinfachte Zuwendungsnachweis oder aber die Möglichkeit für Vereine, Mitgliederversammlungen und Vorstandswahlen online abzuhalten.
Schauen wir allerdings speziell auf die finanziellen Folgen der Krise, so sind für viele Akteur:innen die Einnahmen gesunken, gleichzeitig stiegen häufig die Kosten, beispielsweise für Corona-Schutzmaßnahmen oder aber die notwendige Digitalisierung. Auch wenn die Ausprägungen je nach Tätigkeitsbereich unterschiedlich stark ausfallen, ist davon auszugehen, dass sich die finanzielle Lage weiter verschlechtern wird. Laut Maecenata-Studie gaben nur 31 Prozent der Befragten an, nicht auf staatliche Hilfsangebote angewiesen zu sein oder aber kein Interesse daran zu haben. Wirklich beantragt wurden Mittel aus Corona-spezifischen Hilfsprogrammen allerdings nur von einem Viertel der Befragten. 28 Prozent berichteten, dass sie die teils komplexen Antragsvoraussetzungen nicht erfüllen. Hier ist ein erheblicher Bedarf, die Hilfsangebote flexibler und zugänglicher zu machen.

Wie gehen die Akteure mit der He­raus­forderung Corona um? Ist das bürgerschaftliche Engagement ins­ge­samt in Gefahr?
Wenn wir ehrlich sind, wissen wir alle: Es wird kein einfaches „back to normal“ geben. Einige Organisationen haben durch professionelles und flexibles Fundraising ihre Spendeneinnahmen im Vergleich zum Vorjahr sogar gesteigert. Viele Akteur:innen engagieren sich unvermindert oder sogar mehr. Allerdings verändert ein Jahr ohne Jugendtreffen, Chorprobe, Karnevalssitzung, Fußballtraining jeden Verein und letztlich auch die Gesellschaft. Auch die wertvollen Kontakte aus persönlichen Treffen und Veranstaltungen mit Unterstützer:innen fehlen sehr.
Im Grunde geht es jetzt darum, die Zeit nach Corona aktiv mitzugestalten. Und so sehe ich trotz aller Herausforderungen in der Krise auch viele Chancen. Denn die Pandemie hat auch dazu beigetragen, dass die Akteur:innen des bürgerschaftlichen Engagements ihre Stärken entwickelt und neue Poten­ziale entdeckt haben. 62 Prozent der Befragten berichteten von neuen Bedarfen ihrer Zielgruppen, bei 54 Prozent ist der Arbeit- und Tätigkeitsumfang gestiegen und knapp die Hälfte hat neue Themenfelder erschlossen. Hier kann und darf darauf aufgebaut werden.
Spannend zu sehen ist auch, dass es gerade die Zivilgesellschaft war, die deutlich schneller als Wirtschaft oder Verwaltung partizipative digitale Veranstaltungen entwickelte – eine Vorreiterrolle, die für einige nicht ins Bild vom „angestaubten Ehrenamt“ passt und die Mut machen sollte, jetzt die Weichen zu stellen für eine nächste Stufe der Professionalisierung.

Was brauchen die Akteure der Zivilgesellschaft, um neu gewonnene oder wiederentdeckte Potenziale weiter zu stärken und wie kann der Arbeitskreis 1.6 mit seinem Engagement dazu beitragen?
Ausreichende finanzielle Ressourcen und Rechtssicherheit sind essentiell, denn sie böten der Zivilgesellschaft eine solide Basis, um ihrer vielschichtigen Rolle in der Gesellschaft gerecht zu werden und neue Aufgaben anzugehen. Hier wäre ein wichtiger Schritt, der auch im Arbeitskreis bereits diskutiert wurde, Transparenz und einfachere Zugänge im Dschungel der Fördermöglichkeiten zu schaffen.
Doch das Finanzielle ist nur eine Seite. Ebenso wichtig ist eine Öffnung der Zivilgesellschaft für neue Mitglieder. Es sollte eine Entwicklung gestärkt werden, die die Barrieren in den Mitgliederstrukturen abbaut und attraktiver für eine diverse Mitgliedschaft macht. Dazu braucht es Mut für ein öffentlichkeitswirksameres Agieren sowie Konzepte für eine gelungene Einbindung.
Im Zuge von Corona wurden die Stärken im nachhaltigen Fundraising sehr sichtbar und auch die digitalen Kompetenzen der Akteur:innen. Diese sollten unterstützt und auch bei anderen Organisationen weiterentwickelt werden. Das erfordert flexible Programme, die den speziellen Bedürfnissen der Zivilgesellschaft Rechnung tragen.
Unerlässlich ist aber auch eine Weiterentwicklung fragiler Organisationsstrukturen. Dazu gehört neben einem veränderten Selbstverständnis und Schritten zur Professionalisierung auch die Bereitschaft, mit Akteur:innen zu kooperieren, um gemeinsam gute Lösungen zu erarbeiten. Das wiederum erfordert Führungskräfte, die bereit sind, neue Wege zu gehen. Und es erfordert eine professionelle, finanziell stabile Entwicklung von Leadership in der Zivilgesellschaft.
Auch an dieser Stelle ist der Arbeitskreis hilfreich, denn er bie­tet mit seiner Position an der Schnitt­stelle zwischen Wirtschaft, Ver­wal­tung und Zivilgesellschaft die Plattform für einen offenen, vertrauensvollen Austausch. Engagierte Menschen aus ganz unterschiedlichen Bereichen teilen ihr Wissen und ihre Erfahrung in dem Wunsch, die Hürden für ein erfolgreiches bürgerschaftliches Engagement weiter zu senken.
Insgesamt also liegt ein spannender Weg vor uns und es gibt einiges zu tun. Deshalb werden wir als Arbeitskreis sicherlich auch zukünftig einen Blick über den Tellerrand hinaus und hin zu anderen Arbeitskreisen der AWV wagen, um mögliche Synergien zu heben.

Herzlichen Dank für das Interview!   

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