„Wer etwas bewegen möchte, muss sich engagieren”

AWV-Doppelinterview mit Barbara Meuschke und Roland Burau, Leitung des AWV-Arbeitskreises 2.3

Barbara Meuschke (OTIS GmbH & Co. OHG) und Roland Burau (Rechenzentrum der Finanzverwaltung Nordrhein-Westfalen) leiten gemeinsam den AWV-Arbeitskreis 2.3 „Prozesskette Lohnsteuer”. Der Arbeitskreis beschäftigt sich mit den Themen Melde-, Lohn-und Gehaltsdaten. Haupthema sind die Elektronische Lohnsteuerabzugsmerkmale (ELStAM)*.

Herr Burau, Sie leiten seit 2013  den Arbeitskreis 2.3, der seit 2014 „Prozesskette Lohnsteuer“ heißt (zuvor „Pilotphase „ELStAM“). Nun haben Sie seit Mai 2022 Frau Meuschke als Leiterin an Ihrer Seite. Woraus ziehen Sie die Motivation für Ihr langjähriges ehrenamtliches AWV-Engagement und welche Eigenschaften haben sich als besonders hilfreich beim Vorantreiben der Themen des AKs erwiesen?

Roland Burau: In der Tat, es sind inzwischen mehr als 20 Jahre ehrenamtliche Tätigkeit für die AWV. Eine Zeitspanne, die immerhin gereicht hat, um die alte Kartonlohnsteuerkarte mit der beklebten Rückseite gegen ein modernes elektronisches Verfahren auszutauschen. Die Idee wurde eines Abends vor zwei Jahrzehnten geboren – meine heutige Mitstreiterin Barbara Meuschke war damals auch schon dabei. Es motiviert mich, ein solches Projekt von den ersten Überlegungen bis zur vollständigen Umsetzung begleiten und aktiv mitgestalten zu können.

Das Wichtigste, um die Themen des Arbeitskreises voranzubringen, ist Durchhaltevermögen. Die Absicht, die wir mit dem Arbeitskreis verfolgen, alle relevanten gesetzlichen Regelungen im Blick zu haben, kann eine große Herausforderung sein. Ebenso ist es manchmal mit großen Anstrengungen verbunden, einen tragfähigen Konsens mit allen Beteiligten – den Finanzämtern, den Arbeitgebern und den Softwareherstellern – zu finden. Wenn das gemeinsam Geschaffene dann funktioniert, kann man zufrieden zurückblicken.

In Nachfolge für Herrn Bottenschein hatten Sie, Frau Meuschke, bereits seit Sommer letzten Jahres die Co-Leitung kommissarisch inne. Im Arbeitskreis sind Sie ja keine Fremde. Seit Jahren arbeiten Sie hier mit. Wie sind Sie auf die AWV und diesen Arbeitskreis aufmerksam geworden und was hat Sie dazu veranlasst, diese leitende Funktion zu übernehmen?

Barbara Meuschke: Ich beschäftige mich schon mein ganzes Berufsleben lang mit den Themen Entgeltabrechnung und Personalsoftware. Durch mein über die Jahre gewachsenes, berufliches Netzwerk wurde ich schließlich auf die AWV aufmerksam. Ich sehe durch die Mitarbeit in der AWV eine großartige Möglichkeit, mich zu engagieren und dabei auch gehört zu werden. Als die Co-Leitungsposition an der Seite von Roland Burau nachzubesetzen war, habe ich diese Chance ergriffen, denn wer etwas bewegen möchte, muss sich engagieren.

Herr Burau, der Arbeitskreis ist als Dauerarbeitskreis angelegt. Er dient dem Erfahrungsaustausch und es werden sowohl strategische als auch technische Themen zum Datenaustausch rund um die Lohnsteuer behandelt. Welche Inhalte werden derzeit schwerpunktmäßig behandelt und hat(te) die Covid-19-Pandemie Einfluss auf Ihre Fragestellungen?

Roland Burau: Die AWV bietet einen hervorragenden Nährboden für kreative Ideen. Wichtig ist das Zuhören: Wo drückt der Schuh und wie kann man hier eine Lösung finden? Dabei reicht mein „Verwaltungstunnelblick“ oft nicht aus. Wichtig ist, dass die richtigen Leute zusammenkommen. Dazu gehören die Arbeitgeber mit dem Bedürfnis, die Lohnabrechnung so smart wie möglich zu gestalten, die Hersteller von Lohnbuchhaltungssoftware, die es ja umsetzen müssen, und natürlich die Verwaltung, die sich nach einfachen und ressourcenschonenden Verfahren sehnt. Wenn es dann noch gelingt, alle Beteiligten von einer Idee zu überzeugen, ist das schon die halbe Miete.

Die Covid-19-Pandemie hat die Fragestellungen im Arbeitskreis kaum beeinflusst. Wir betrachten seit jeher alle Themen rund um die Lohnsteuer. Nicht nur die Lohnsteuerkarte selbst, sondern auch der Lohnsteuerabgleich (Vergleich der angemeldeten zur bescheinigten Lohnsteuer) und die elektronische Betriebsführung sind immer wieder Themen im AK 2.3.

Es ist wichtig, Ideen zu formulieren und notwendige Veränderungen anzugehen, bevor eine akute Anforderung entsteht. Sind die Anforderungen schon formuliert, ist es wichtig, gemeinschaftlich eine Lösung zu finden, mit der alle mit dem geringsten Aufwand leben können.

Gerade das Thema Erstattung nach dem Infektionsschutzgesetz oder die Korrekturen vom Kurzarbeitergeld sind ein Beispiel dafür, wie wir künftig auf allen Ebenen nicht mit den aktuellen Herausforderungen umgehen sollten. Wenn wir hier in einen „Lessons Learned-Modus“ umsteigen könnten, wären mindestens die Arbeitgeber und Softwareanbieter mehr als glücklich.

Frau Meuschke, Sie beide bringen langjährige Expertise zu den Lohnsteuerthemen, aus unterschiedlichen Perspektiven, mit: Herr Burau ist für die Finanzverwaltung tätig, Sie arbeiten für ein Wirtschaftsunternehmen. Unterschiedliche Blickwinkel sind immer eine Bereicherung, können aber auch viel Diskussionspotential bieten. Aus welchen Sektoren stammen Ihre Arbeitskreismitglieder und wie gehen Sie vor, um Handlungsbedarfe zu identifizieren und Lösungsprozesse anzustoßen?

Barbara Meuschke: Das Schöne an der Arbeit in unserem Arbeitskreis ist, dass er sich aus Expertinnen und Experten mit ganz unterschiedlichem fachlichem Hintergrund zusammensetzt. Einige kommen von der Arbeitgeberseite, andere von Softwareanbietern und wieder andere sind Vertreterinnen und Vertreter von Ministerien, Verwaltungen und Verbänden. Durch die unterschiedlichen Praxisbezüge bringen die Arbeitskreismitglieder auch unterschiedliche Erfahrungen und Wünsche in die Facharbeit mit ein.

Die Handlungsbedarfe für den Arbeitskreis ergeben sich in der Regel aus den gesetzlichen Anforderungen – neuen wie auch alten Anforderungen – und der fortschreitenden Digitalisierung. Wir diskutieren die Themen zunächst im Arbeitskreis und überlegen dann gemeinsam, wo man ansetzen könnte, um bei den jeweiligen Themen voranzukommen.

Wo sehen Sie die Stärken des Arbeitskreises und welche Themen möchten Sie in naher Zukunft besonders vorantreiben?

Barbara Meuschke: Wichtig ist für die Arbeitgeberseite, dass die Mitteilungen der Beiträge zur privaten Krankenversicherung und zur Pflegeversicherung von den Versicherungen fristgerecht im ELStAM-Verfahren umgesetzt und damit elektronisch zur Verfügung gestellt werden. Die Integration in das bestehende Verfahren erspart nicht nur Kosten und Mühen, sondern würde auch zeitaufwendige Prüfungen überflüssig machen und die ordnungsgemäße Abrechnung deutlich vereinfachen. Darüber hinaus planen wir, uns wieder mit der Fragestellung auseinanderzusetzen, wann verschiedene Bescheinigungen für das Finanzamt eingereicht und wann eine Rückrechnung im laufenden Jahr gemacht werden muss.

Roland Burau: Bis zur Pension habe ich noch ein paar Jahre. Mein Ziel ist es, bis dahin alle gesetzlichen Vorgaben – wie immer in enger Zusammenarbeit mit der Wirtschaft – im Arbeitskreis umzusetzen und meinem Nachfolger oder meiner Nachfolgerin ein rundherum rundes und stabiles System zu hinterlassen. Dazu zählt:

  • Der Aufbau eines voll elektronischen Antragsverfahrens für die Finanzämter und die Bürgerinnen und Bürger sowie die vollständige Ablösung des bisherigen Papierverfahrens.
  • Die Integration aller nicht meldepflichtigen, auf Basis einer Bescheinigung für den Lohnsteuerabzug (Ersatzbescheinigung) beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in das Verfahren.
  • Die Auslieferung aller Lohnsteuerabzugsmerkmale gem. §39 EStG an die Arbeitgeber. Es fehlen aktuell noch die privaten Kranken- und Pflegeversicherungswerte und die Informationen gem. Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) und Auslandstätigkeitserlass (ATE). An den Kranken- und Pflegeversicherungswerten arbeitet der Arbeitskreis 2.3 übrigens zusammen mit dem Bundeszentralamt für Steuern schon mit Hochdruck.

Lächelnder Mann mit grauem Haar und Brille


Roland Burau studierte Steuerrecht und ist seit 1987 im Rechenzentrum der Finanzverwaltung Nordrhein-Westfalen (RZF NRW) tätig. Ab 2003 leitete er dort die Projekte ElsterLohn I und II, deren Ziel es war, die Lohnsteuerkarte schrittweise durch ein elektronisches Verfahren zu ersetzen. Nachdem er sich bereits einige Jahre ehrenamtlich bei der AWV engagiert hatte, übernahm er 2013 die Leitung des AWV-Arbeitskreises 2.3. Seit 2020 ist er Fachreferent und Verfahrensmanager und Fachreferent für „Lavendel“, dem „Lohnsteuerabzugsverfahren der Länder” (zuvor „ElsterLohn II“).

Foto: RZF NRW

 
Lächelnde Frau mit schulterlangem welligem blondem Haar

Barbara Meuschke
ist Diplom-Wirtschaftsingenieurin und arbeitet seit über 40 Jahren als Managerin in der Entgeltabrechnung. Sie war in unterschiedlichen Großoprojekten, die Entgeltabrechnung betreffend, beteiligt. Derzeit ist sie bei dem weltweit tätigen Aufzughersteller Otis GmbH & Co. OHG in Berlin als Payroll Managerin beschäftigt. Darüber hinaus bietet sie seit über 15 Jahren als selbständige Dozentin, Mediatorin und Beraterin Trainings und Beratung zu unterschiedlichen Themen der Entgeltabrechnung an. Sie engagiert sich zudem ehrenamtlich in verschiedenen Arbeitsgruppen.

Foto: privat


 

*ELStAM


Bei den ELStAM (Elektronische LohnSteuerAbzugsMerkmale) handelt es sich um die Angaben, die der Arbeitgeber zur korrekten Lohnabrechnung benötigt (zum Beispiel Steuerklasse, Zahl der Kinderfreibeträge, Freibetrag, Kirchensteuerabzugsmerkmal). Zuständig für die antragsgebundenen Änderungen der Lohnsteuerabzugsmerkmale sind die Finanzämter. Sie tragen zum Beispiel Steuerklassenänderungen, ausländische Kinder oder sonstige Wünsche des Bürgers – wie ungünstigere Steuerklassen oder dauernde Trennung – und natürlich die Freibeträge im Rahmen des Lohnsteuerermäßigungsverfahrens ein. Für andere Änderungen sind die Meldebehörden, also die Stadt- und Gemeindeverwaltungen, verantwortlich, zum Beispiel Kirchenein- und austritte, Eheschließungen oder die Änderung einer Anschrift. Von den Meldebehörden erfolgt dann eine direkte Datenweitergabe an die Finanzverwaltung zur Änderung der persönlichen Lohnsteuerabzugsmerkmale. Diese Lohnsteuerabzugsmerkmale (zum Beispiel Kinderfreibeträge oder die Steuerklasse) werden in einer Datenbank der Finanzverwaltung zum elektronischen Abruf für Arbeitgeber bereitgestellt und als Elektronische LohnSteuerAbzugsMerkmale (ELStAM) bezeichnet. Veränderungen der Lohnsteuerabzugsmerkmale werden dem Arbeitgeber mittels Änderungslisten durch die Finanzverwaltung elektronisch mitgeteilt. Der Arbeitgeber berücksichtigt die ELStAM dann für den Lohnsteuerabzug und weist sie in jeder Lohnabrechnung aus.
 
 
 

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