Das digitale Rad nicht neu er­fin­den – Aus­tausch zur Ver­waltungs­digi­tali­sierung zwischen Norwe­gen und Hessen

Ein Beitrag von Dr. Walter Wallmann, Präsident des Hessischen Rechnungshofes, Darmstadt, unter Mitwirkung von Dr. Ralf Sieg, Katja Driesen und Erdem Eryasar (Hessischer Rechnungshof, Darmstadt)

Nicht zuletzt die Corona-Pandemie hat verdeutlicht, dass in Deutsch­land hinsichtlich der Digitali­sierung von Staat und Verwaltung noch Nachholbedarf besteht: sei es in den Gesund­heits­ämtern, im Schul­bereich oder auch in der allge­meinen Landes- und Kommu­nal­verwal­tung.

Aktuell sind Bund, Länder und Kommu­nen bestrebt, die Ziele des Online­zugangs­ge­setzes (OZG) zu erreichen und Bürgerinnen und Bürgern sowie Unter­nehmen bei allen onlinefähigen Verwaltungs­pro­zessen digitalen Zugang zu gewähren. Dies ist sicherlich ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung, aber: Erstens werden die gesetz­lichen Vorgaben des OZG bis Ende 2022 wohl nicht voll­um­fäng­lich erfüllt werden und zweitens ist der digitale Zugang zu den Ver­wal­tungs­pro­zessen eben nur ein Etappe­nziel auf dem Weg zu durchgängig digi­talen Pro­zessen. Deshalb muss die künftige Verwaltungsdigitalisierung über das OZG hinausgehen und das „Back-Office“, also die internen Prozesse in den Behörden mitdenken und mitgestalten. Da stellt sich nun die Frage: Wie soll das funktionieren?

Eine Blaupause zur Verwaltungsdigitalisierung in Deutschland gibt es leider nicht. Deshalb lohnt sich der Blick über den Tellerrand in andere Länder, die bei der Digitalisierung schon deutlich weiter sind. Aus Sicht des Hessischen Rechnungshofs rentiert sich insbesondere der Blick nach Norwegen.

Was macht Norwegen zum Vorreiter?

Norwegen ist hinsichtlich der Verwaltungskultur mit Deutschland vergleichbar; die Einwohnerzahl entspricht ungefähr der Einwohnerzahl Hessens. Allerdings hat Norwegen – auch aufgrund seiner Fläche und seiner eher zentralen Verwaltungsstruktur – frühzeitig mit einer vernetzten und durchgängigen Digitalisierung der Verwaltung und den Austauschprozessen zwischen Bürgerinnen, Bürgern, Unternehmen und Verwaltung begonnen.

Der Hessische Rechnungshof hat in einer vergleichenden Organisations- und Prozessanalyse die Unterschiede in den Rahmenbedingungen sowie ausgewählte Prozesse in Norwegen und Hessen verglichen. Dabei fielen verschiedene Punkte auf: Hervorzuheben ist vor allem der Einsatz eines zentralen Verwaltungsportals („Altinn“) in Norwegen. Hier werden nahezu sämtliche Verwaltungsdienstleistungen angeboten. Der Zugang für Bürgerinnen und Bürger als auch Unternehmen ist mittels eindeutiger Identifikationsnummern und über diverse Geräte möglich. Somit sind die Daten und Dienstleistungen von überall nutzbar und jederzeit abrufbar. Es existieren nur wenige „Insellösungen“, sondern es gibt eine zentrale Anlaufstelle für Verwaltungsanliegen.

Besonders anwenderfreundlich sind die norwegischen Prozesse durch die Register, die allen Verwaltungsbehörden zugänglich sind, sofern die rechtlichen Voraussetzungen dafür erfüllt sind, und die vergleichsweise weitgehende Einhaltung des Once-Only-Prinzips.

Die mit dem Portal verbundenen dezentralen Register speichern die jeweiligen Nutzerdaten und Eingaben. Diese Daten werden dann beispielsweise beim Ausfüllen eines neuen Antrags automatisch abgerufen, sodass nur noch bei Bedarf Anpassungen von den Nutzenden benötigt werden. So müssen die Nutzenden ihre Daten nur einmal eingeben. Danach sind sie in den Registern gespeichert und jederzeit abrufbar. Das Resultat dieser durchgängigen Einhaltung des Once-Only-Prinzips ist ein anwenderfreundlicher und schneller Prozess. Datenschutzrechtlich ist hierbei essentiell, dass die Nutzenden bei Datenweitergabe datenschutzrechtlich relevanter Informationen ihr Einverständnis geben müssen (Hinweis: Auch in der DSGVO ist eine sogenannte Consent-Lösung [Einwilligung] als mögliche Verarbeitungsgrundlage vorgesehen).

Des Weiteren ist eine vorteilhafte Eigenschaft in den betrachteten norwegischen Prozessen, dass diese sowohl bei Nutzenden als auch in den zuständigen Behörden medienbruchfrei ausführbar sind. Dies bedeutet, dass die Daten weitgehend digital eingegeben, verarbeitet und weitergegeben werden. Das medienbruchfreie Verarbeiten der Daten ermöglicht nicht nur ein verbessertes Nutzererlebnis, sondern auch eine schnelle und effiziente Verarbeitung, Weitergabe und Archivierung dieser Daten innerhalb der zuständigen Behörden. Der Einsatz von elektronischen Akten in Verwaltungsprozessen wird hier somit gelebt.

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