Bewusstsein für Nachhaltigkeit schaffen: Doppel-Interview mit neu gewählter Leitung des Arbeitskreises 1.1

AWV-Interview mit Dr. Gabriele Wanitschek-Klein und Hans-Dieter Wieden, Leitung des AWV-Arbeitskreises 1.1 "Öffentliche Finanzen und Nachhaltigkeit"

Dr. Gabriele Wanitschek-Klein, Leiterin der Prüfungsabteilung im Hessischen Rechnungshof, und Hans-Dieter Wieden, Leiter des Revisionsamts der Stadt Frankfurt am Main, wurden zur Leitung des Arbeitskreises 1.1 "Öffentliche Finanzen und Nachhaltigkeit" gewählt. Dieser untersucht die ökologischen, sozialen und finanziellen Aspekte der Nachhaltigkeit und deren Auswirkungen auf die öffentlichen Finanzen und die öffentliche Finanzkontrolle.

Frau Dr. Wanitschek-Klein, Sie haben bereits den Vorgängerarbeitskreis „Innovative Finanzkon­trolle“ fachlich geleitet. Nun haben Sie zusammen mit Herrn Wieden die Leitung des neugegründeten Arbeitskreises 1.1 inne. Unter dem Titel „Öffentliche Finanzen und Nachhaltigkeit“ setzen Sie einen neuen Schwerpunkt im Kontext der Prüfung und Beratung. Warum?

Wir haben bereits im Rahmen des Vorgängerarbeitskreises festgestellt, dass sich die öffentliche Finanzkontrolle mit umgreifenden Veränderungen konfrontiert sieht. Nachhaltigkeit bildete dabei nur einen von vielen externen Einflussfaktoren. Allerdings kristallisierte sich heraus, dass gerade der Umgang mit dieser Thematik in der Umsetzung noch große Schwierigkeiten bereitet. Es war daher schnell Konsens, sich im neuen Arbeitskreis 1.1 detaillierter mit Nachhaltigkeit zu befassen.

Nachhaltigkeit ist ein breiter Begriff, der mehrere Komponenten umfasst. Herr Wieden, was macht Nachhaltigkeit zu einer relevanten Dimension in Bezug auf die öffentlichen Finanzen?

Nachhaltigkeit ist die zentrale Säule öffentlicher Finanzen. Die Finanzierung öffentlicher Aufgaben – seien es die Pflichtaufgaben der Daseinsvorsorge oder freiwillige Aufgaben der Förderung des gesellschaftlichen Lebens – muss nachhaltig sein. Dazu gehören die mittelfristige Finanzplanung, aber auch Vorberichte der Haushalte und Lageberichte der Jahresabschlüsse. Auch die konsequente Abgrenzung zwischen Erhaltungsaufwendungen und Investitionen, die auch künftige Generationen nutzen können, ist ein wesentliches Element der Doppik. Deren Einführung ist ein entscheidender Beitrag, um Aussagen zu Risiken und Chancen auf validen Grundlagen treffen zu können. Umso bedauerlicher ist es, dass viele Länder und insbesondere der Bund auf diese Instrumente verzichten.

Vorgaben zu ausgeglichenen Ergebnishaushalten und auf staatlicher Ebene die Schuldenbremse sind weitere Instrumente zur Sicherung der Nachhaltigkeit öffentlicher Haushalte. Oberstes Ziel muss die Generationengerechtigkeit sein. Jede Generation muss die finanziellen Lasten für die Ressourcen tragen, die sie verbraucht (Ressourcenverbrauchmodell). Die dauerhafte Erfüllung der Aufgaben darf nicht von Entscheidungen gefährdet werden, die auf kurzfristige (Wahl-)Erfolge zielen. In einer langfristigen nachhaltigen Planung öffentlicher Finanzen müssen auch Krisen berücksichtigt werden, die Haushaltsplanung sollte resilient sein. Der Arbeitskreis hat nach meiner Auffassung zum Ziel, das Bewusstsein zu wecken, dass ein „weiter so“ nicht mehr möglich ist.

Frau Dr. Wanitschek-Klein, was ist unter Nachhaltigkeit im Rahmen der Beratung und Prüfung öffentlicher Haushalte zu verstehen und was brauchen Rechnungshöfe und Rechnungsprüfer in der Praxis?

Die Konferenz der Präsidentinnen und Präsidenten der Rechnungshöfe des Bundes und der Länder haben am 16. Oktober 2018 die „Bonner Erklärung zur Nachhaltigkeit“ verabschiedet. Dabei ging es um die Frage, wie die Rechnungshöfe einen Beitrag dazu leisten können, dass die Umsetzung der Ziele der Agenda 2030 der Vereinten Nationen für eine Nachhaltige Entwicklung in Deutschland gelingt. Insbesondere weist die Konferenz darauf hin, dass langfristig tragfähige Haushalte der Schlüssel zu nachhaltigen Staatsfinanzen sind.

Weiterhin bekräftigt sie, dass die Rechnungshöfe einen wirkungsvollen Beitrag zu einer effektiven und effizienten Umsetzung der Agenda 2030 leisten. Der Verweis auf die Agenda 2030 macht deutlich, dass öffentliche Finanzkontrolle ihre Prüfungsmaßstäbe neben der finanziellen Nachhaltigkeit um die anderen Dimensionen, Ökologie und Soziales, erweitern will und muss. Dies erfordert neue Prüfungsansätze und -methoden, aber auch neue Bewertungsmaßstäbe und Prüfraster. Diese Neuausrichtung stellt immense Anforderungen an die fachliche Entwicklung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Es müssen neue Kompetenzen aufgebaut werden, die mit den vorhandenen verzahnt werden müssen. Bereits jetzt setzt die öffentliche Finanzkontrolle bei ihren Prüfungen auf Teams, die personell interdisziplinär zusammengestellt sind. Dieser Trend wird sich noch verstärken. Zudem ist die öffentliche Finanzkontrolle als Institution in der Pflicht. Es gilt ein Bewusstsein zu schaffen, dass Nachhaltigkeit bei jeder Prüfungskonzeption mitbedacht werden muss.

Herr Wieden, inwieweit wird das Thema Nachhaltigkeit im Bereich öffentliche Finanzen aus Ihrer Sicht bislang schon berücksichtigt?

Die Regelungen zur Planung und Bewirtschaftung öffentlicher Haushalte beinhalten Begriffe wie Ressourcenverbrauchmodell, Neue Steuerungsmodelle, Gene­rationengerechtigkeit, Wirkungsdimensionen, dauernde Leistungs­fähigkeit und stetige Aufga­ben­erfüllung. Ohne explizit die Begriffe Nachhaltigkeit und Tragfähigkeit zu nennen, sind das Elemente einer Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen. Die zunehmende Betonung von Aspekten der Wirtschaftlichkeit von Investitionen mit Vorgaben zur Kosten-Nutzen-Analyse und der Lebenszyklusbetrachtung in den Normen der doppischen Haushaltsführung und die Doppik selbst haben zum Ziel, sich von einer kurzfristigen Betrachtung in Haushaltsjahren hin zu mittel- und langfristigen Betrachtungen im Sinne der Nachhaltigkeit zu entwickeln. Hierzu zähle ich auch, dass in der öffentlichen Rechnungslegung auf kommunaler Ebene, in einigen Ländern Abschreibungen und Rückstellungen gebucht sowie Rücklagen gebildet werden müssen. Diesen Prozess begleite ich konstruktiv-kritisch in meinen Funktionen beim IDR, als Leiter des Revisionsamts und als Dozent. In der kommunalen Praxis stelle ich häufig fest, dass wir kein Erkenntnis- aber ein Umsetzungsproblem haben.

Wo sehen Sie die Stärken des Arbeitskreises und welche Themen möchten Sie besonders voran­treiben?

Dr. Gabriele Wanitschek-Klein: Nach meiner Erfahrung aus dem Vorgängerarbeitskreis hat sich insbesondere die offene und wertschätzende Arbeitsatmosphäre als besondere Stärke erwiesen. Es ist wirklich ein Kreis, der Bestehendes nicht als gegeben hinnimmt, sondern auch neuen Ansätzen Raum gibt. Thematisch stellt sich für mich insbesondere die Frage, welche Auswirkungen ein nachhaltiges Handeln auf die öffentliche Finanzkontrolle haben wird. Die öffentliche Finanzkontrolle muss sich zum einen damit auseinandersetzen, welche ergänzenden Prüfungsschritte erforderlich sind. Zum anderen muss sie aber auch sich selbst als Organisationseinheit auf die neuen Rahmenbedingungen einstellen. Entscheidend für den Erfolg wird dabei sein, inwieweit die Führungskräfte das Thema Nachhaltigkeit inhaltlich umsetzen und vertreten.

Hans-Dieter Wieden: Die Stärke des Arbeitskreises ist seine Zusammensetzung aus Personen mit unterschiedlichen Erfahrungen aus Politik, von Rechnungshöfen, kommunalen Verwaltungen aber auch der IHK und der freien Wirtschaft. Das versetzt den Arbeitskreis in die Lage, die unterschiedlichen Dimensio­nen der Nachhaltigkeit – ökologische, soziale oder finanzielle Nachhaltigkeit – zu diskutieren, einzuordnen und die öffentliche Diskussion voranzutreiben. Das Wort Nachhaltigkeit wird heute inflationär verwendet. Ziel des Arbeitskreises ist es, die Normen zu sammeln und die Nachhaltigkeit mit praktischen Beispielen zu beschreiben und damit Denkanstöße für den weiteren Diskurs und Anregungen für die Weiterentwicklung der rechtlichen Vorgaben zu geben.

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