Datenbasierte Geschäftsmodelle auf kommunaler Ebene für mehr Arbeits- und Lebensqualität

In der aktuellen, vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Studie „Urbane Datenräume – Möglichkeiten von Datenaustausch und Zusammenarbeit im urbanen Raum“ wurde von mehreren Fraunhofer-Instituten untersucht, wie die in Kommunen anfallenden Daten von der jeweiligen Verwaltung vor Ort „smart“ bereitgestellt werden können. Mehr zu urbanen Datenräumen und den Ergebnissen der Studie erfahren Sie im AWV-Interview mit Frau Silke Cuno, Projektleiterin bei Fraunhofer Fokus/Geschäftsbereich Visual Computing.

Frau Cuno, was ist ein urbaner Datenraum?

Der „Datenraum“ ist ein methodisches Konzept und praktisches Konstrukt für ein nahtloses digitales Gebiet, das die Entwicklung neuer auf Daten beruhender Produkte und Dienstleistungen ermöglicht. Innerhalb einer Datenwirtschaft soll ein freier Datenfluss zwischen Standorten, über Grenzen hinweg und innerhalb eines einheitlichen Datenraums ermöglicht werden. Der europäische Datenraum z. B. umfasst alle digitalen Daten, die für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung Europas von Bedeutung sind.

In institutioneller und personeller Hinsicht kann man sich einen Datenraum als ein Netzwerk von Akteuren vorstellen, technisch muss er als eine ­IT-Dateninfrastruktur konstruiert werden. Technische Standards stellen dabei sicher, dass die Daten dezentral zwischen Akteuren und Systemen des Datenraums sicher ausgetauscht und miteinander verknüpft werden können. In rechtlicher Sicht sollte sich der Datenraum mit klaren, einheitlichen Regeln präsentieren, indem der Anspruch auf Datensicherheit, Datensouveränität und Datenschutz entsprechend der Datenschutzgrundverordnung gilt. Funktional gesehen ist der Datenraum ein sich nachfrageorientiert entwickelndes System, das durch seine Akteure ausgestaltet wird. Die vom urbanen Datenraum umfassten verschiedensten Datenarten können in diversen technischen Formaten vorliegen und sind über technische Systeme und Infrastrukturen verteilt, die interoperabel nach internationalen Standards auszulegen sind.

Der Datenraum überwindet die den Daten innewohnende Ambivalenz, indem er den Weg für den freien Datenfluss hin zu innovativen Diensten ermöglicht und gleichzeitig Datenschutz für personenbezogene Daten und Datensicherheit gewährleistet. Generell ist mit Datenraum kein einzelnes konkretes technisches System gemeint, das alle Daten zentral abspeichert, und damit nicht mit Begriffen wie „Datalake“ oder „Datenbank“ zu verwechseln. Vielmehr ist es zentral zugänglich und koordiniert, wird aber verteilt realisiert und verwaltet, z. B. an den Standorten der Datenbereitstellung. Innerhalb der Datenwirtschaft lassen sich diverse „Datenräume“ identifizieren. Sie unterscheiden sich hinsichtlich ihrer räumlichen, rechtlichen und ökonomischen Zielsetzungen. Neben dem europäischen Datenraum gibt es zum Beispiel das Konsortium für den Industrial Data Space, der nach Anwendungen differenziert (z. B. Mobilitätsdatenraum, Energiedatenraum, Medizindatenraum, Forschungsdatenraum u. v. m.). Der urbane Datenraum enthält alle Daten, die für den kommunalen Raum relevant sind – urbane Energiedaten, Mobilitätsdaten, Gesundheitsdaten, Wirtschafts- und Sozialdaten etc. – und umfasst alle Dimensionen eines für eine Kommune wichtigen Wirtschaftsraumes sowie auch die zugehörigen Verwaltungs-, Lebens-, Rechts-, Erfahrungs-, Aktions-, Identifikations-, Kommunikations- und Sozialisationsräume.

Wieso sollten Kommunen aktiv in die Datenökonomie einsteigen? Für wen sehen Sie dadurch welche Vorteile?

Kommunen sollten sich aktiv an der Entwicklung und individuellen Ausgestaltung ihrer urbanen Datenwirtschaft beteiligen, um die eigene kommunale Wirtschaft und Selbstverwaltung zu stärken und die Lebensqualität der in der Kommune ansässigen Bürgerinnen und Bürger zu verbessern.

In den letzten Jahren haben sich Tempo und Wachstumsrate der Datenwirtschaft beschleunigt. Die Anzahl von Datenlieferanten und Datennutzern steigt ebenso wie der Bedarf an Datendiensten, -experten und -produkten. Die Datenwirtschaft hat erhebliche Auswirkungen auf die Industrie, den Finanzsektor, das verarbeitende Gewerbe und den Dienstleistungssektor durch die Verwendung von datenbezogenen Technologien wie Cloud und „Internet of Things“ mit entsprechenden Wechselwirkungen. Hier technologisch mitzuhalten, ist auch für Kommunen relevant. Der Wert des Datenmarktes für datenbasierte Produkte und Dienstleistungen wird laut der europäischen Datenmarktstudie 2017 (EDM) in den EU-28 auf mehr als 65 Milliarden Euro geschätzt. Davon erwirtschaften Unternehmen im Vereinigten Königreich 13,3 Milliarden Euro und somit mehr als Deutschland mit 12,9 Milliarden Euro und Frankreich mit 7,4 Milliarden Euro. Der EDM-Studie zufolge werden Gesamtauswirkungen der Datenwirtschaft für die EU-27 bis 2020 4,0 % des BIP ausmachen. Die Haushalte der Kommunen und ansässigen KMUs profitieren aktuell nur wenig von Gewinnen der Datenwirtschaft, was verschiedene Gründe hat: Beispielsweise haben Kommunen ihren Datenraum bisher nicht definiert und keine entsprechende IT-Infrastruktur aufgebaut, die sie an der Datenwirtschaft teilnehmen lässt.

Dabei tragen die Kommunen in vielerlei Hinsicht dazu bei, dass der Wertschöpfungsprozess der internationalen Datenwirtschaft stattfindet. Immerhin werden viele Daten (sogenannte verhaltensgenerierte Daten), mit denen überregionale Unternehmen Gewinne erlangen, durch Bürgerinnen und Bürger auf der bestehenden kommunalen Infrastruktur erhoben, beispielweise auf den Straßen. Die kostengünstige Nutzung dieser Daten ist auch für die Kommunen hochinteressant.

Über eine Digitalsteuer für Unternehmen mit großen Umsätzen und über die Einführung eines neuen Datenrechts, welches Nutzungsrechte an verhaltensgenerierten Daten neu regelt, wird derzeit auf politischer Ebene unter Beteiligung von Kommunen, Industrieverbänden und Verbraucherschutzpositionen viel diskutiert. Generell steht die Forderung nach „fairen digitalen Märkten“ im Raum, der Wettbewerb und Datensouveränität sicherstellt, sowie Datenschutz gewährleistet. Derzeit ist die faktische Zuordnung der Daten dadurch gekennzeichnet, dass sie denjenigen Unternehmen gehören, die über die technischen Infrastrukturen verfügen, um diese Daten zu sammeln und zu verwerten. Um also an der Entwicklung der Datenwirtschaft teilzuhaben, sollten Kommunen aktiv an der rechtlichen Diskussion teilnehmen und gleichzeitig den technischen und organisatorischen Aufbau ihres urbanen Datenraumes mit der kommunalen IT-Infrastruktur vorantreiben. Das soll sie in die Lage versetzen, ihre Daten nachhaltig für vielfältige innovative Dienste nutzen.

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