E-Voting und elektronische Partizipation: AWV-Interview mit Professor Dr. Robert Krimmer, Technische Universität Tallinn

Herr Professor Krimmer, bevor Sie an die Technische Universität Tallinn kamen, konnten Sie bereits in Ihrem Heimatland Österreich Erfahrung mit dem E-Voting sammeln und waren OSZE-Berater für neue Wahltechnologien in Polen. In Estland nun haben Sie einen Lehrstuhl für eGovernment inne. Estland gilt als Vorreiter der Digitalisierung. Seit 2005 wird auf staatlicher Ebene online gewählt. Welcher Mehrwert wird dadurch für die Bürgerinnen und Bürger geschaffen?

Prof. Dr. Krimmer: Wenn Wahlen organisiert werden, versuchen die verantwortlichen Menschen die Technologien zu nutzen, die ihnen zur Verfügung stehen. Egal ob es Glasperlen, Palmblätter, oder heute in den meisten Fällen Papierstimmzettel sind, so sind dies Technologien, die wir benötigen um geheime Wahlen durchführen zu können. So ist es auch nur verständlich, dass seit es elektronische Kommunikationsnetzwerke gibt, auch das Bedürfnis besteht, darin Wahlen abhalten zu können, um die Abhängigkeit von Ort und Zeit zu überkommen und damit die demokratischen Prozesse zu verändern. Empirische Untersuchungen in Estland haben gezeigt, dass die Bürgerinnen und Bürger, für die der Zeitaufwand an einer Wahl teilzunehmen größer als 30 Minuten wäre, die Verwendung des Internetwahlkanals bevorzugen. Estland ist sehr dünn besiedelt, wodurch manche Wahllokale weit entfernt liegen, und so wählt mittlerweile schon ein Drittel der wählenden Bürgerinnen und Bürger über das Internet. Die kommenden Kommunalwahlen werden wahrscheinlich eine weitere Erhöhung bringen.

Estland nutzt ein durchgängiges Internetwahlkonzept, bei dem jeder seine Stimme elektronisch abgeben kann. Bei den Parlamentswahlen 2015 nutzten 31 Prozent diese Möglichkeit. Gibt es Erkenntnisse darüber, dass durch E-Voting auch die Wahlbeteiligung steigt?

Nein, bis jetzt gibt es keine gesicherten Erkenntnisse darüber. Es scheint jedoch plausibel, dass ein weiteres Absinken der Wahlbeteiligung durch das Angebot von Internetwahlen verzögert werden kann.

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