Digitalisierungskompetenz verstehen, gestalten und anwenden

AWV-Interview mit Dr. Michael Räckers, Leiter des AK 1.7

Die öffentliche Verwaltung tut sich zunehmend schwer, IT-Fachkräfte zu gewinnen und Digitalisierungskompetenzen des bestehenden Personals zu entwickeln. Wir sprachen mit Dr. Michael Räckers, Leiter des AWV-Arbeitskreises „Digitalisierungskompetenz in der öffentlichen Verwaltung″ über die Bedeutung einer neuen Fort- und Weiterbildungskultur, wie öffentliche Verwaltungen im „war for talents” bestehen können und über künftige Vorhaben im Arbeitskreis.

Herr Dr. Räckers, Sie leiten seit Mai dieses Jahres ehrenamtlich den neu gegründeten AK 1.7 „Digitalisierungskompetenz in der öffentlichen Verwaltung“. Was ist unter Digitalisierungskompetenz zu verstehen und werden in der öffentlichen Verwaltung andere digitale Kompetenzen als in der freien Wirtschaft benötigt?

Ich möchte erst einmal vom Grundsatz her den Kompetenzbegriff definieren. Kompetenzen sehen wir – kurz – als die Fähigkeiten, selbstorganisiert und kreativ zu handeln. Das meint im Besonderen, dass man durch diese Fähigkeiten auch mit nicht klar und abschließend definierten Zielen bzw. Aufgaben umgehen kann. Diese Fähigkeiten kann man einerseits erlernen, andererseits sind jedem Menschen gewisse Fähigkeiten inhärent, zu denen insbesondere die sozialen Fähigkeiten, die berühmten Soft Skills, zählen. Die Soft Skills kann man zwar auch, aber ungleich schwerer erlernen. Kurz: Es geht vor allem um Wissen, Fähigkeiten, Fertigkeiten und Persönlichkeitseigenschaften.

Digitalisierungskompetenz verstehen wir nun als das Verstehen, Anwenden und Gestalten digitaler Systeme zur Verbesserung der Aufgabenerledigung in Arbeitssituationen – hier der Verwaltung. Der Kompetenzbegriff und damit auch der Begriff der Digitalisierungskompetenz ist schillernd und vielfältig, lässt sich im Kern aber auf diese wesentlichen Bestandteile runterbrechen und macht ihn auf diese Weise für uns im Arbeitskreis greifbar.

Wenn wir uns die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltungen anschauen, so sind – aus dieser abstrakten Perspektive – die Kompetenzen mit denen in der freien Wirtschaft vergleichbar: Es geht um technische, fachliche und soziale Kompetenzen sowie um Persönlichkeitsmerkmale. Gehen wir aber eine Ebene tiefer, treten einige Unterschiede zu Tage. Digitalisierungskompetenzen für die öffentliche Verwaltung unterscheiden sich in der fachlichen Perspektive erheblich. Sie lassen sich weiter aufteilen in soziotechnische Kompetenzen, die Organisation betreffende Kompetenzen, Managementkompetenzen sowie politisch-administrative Kompetenzen. Diese sind nicht in allen, aber in vielen Ausprägungen sehr verwaltungsspezifisch und machen die Digitalisierungskompetenzen für die öffentliche Verwaltung damit speziell.

Im Zentrum des Arbeitskreises steht die Frage, wie die Digitalisierungskompetenz des Personals in öffentlichen Verwaltungen, gerade auch vor dem Hintergrund des E-Government-Gesetzes und des Onlinezugangsgesetzes, gestärkt werden kann. Wie beurteilen Sie den aktuellen Status der Digitalisierungskompetenz in Verwaltungen?
Die Verwaltung zeigt an dieser Stelle – wie so häufig in Deutschland – kein einheitliches Bild. Es gibt einige Leuchttürme, die das Thema schon seit längerer Zeit konkret und konsequent angehen. In der Metropolregion Rhein-Neckar beispielsweise versucht man, das Thema und die nötigen Fähigkeiten in die Breite zu tragen und Bedienstete weiterzubilden, um nur ein Beispiel von vielen verschiedenen, kleineren und auch größeren Maßnahmen anzudeuten. Für die breite Masse der öffentlichen Verwaltungen muss man aber konstatieren, dass die Digitalisierungsfähigkeiten der Organisationen extrem von einzelnen Personen abhängen, die versuchen,
voranzuschreiten. Wenn so eine Person in der Verwaltung nicht vorhanden ist, ist das Thema nicht ausreichend besetzt und man ist – noch mehr als die anderen – Getriebener, ohne genau zu wissen, was zu tun ist. Hier ist noch einiges zu tun, um die Bediensteten in der Breite zu schulen und zu qualifizieren.

Sie lehren am Institut für Wirtschaftsinformatik an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Werden digitale Kompetenzen in der Ausbildung des Verwaltungsnachwuchses an Universitäten und Fachhochschulen aus Ihrer Sicht ausreichend gefördert? Welche Verbesserungspotenziale gibt es?
Aktuell lässt sich beobachten, dass es mehr und mehr Programme und Studiengänge gibt, die das Thema Digitalisierung und E-Government aufgreifen und versuchen zu vermitteln. Der immer größer werdende Bedarf an diesen Kompetenzen führt dazu, dass die Nachfragen konkreter und drängender werden und das Angebot langsam aber sicher kommt. Dieses kann aber noch nicht ausreichen, um die tatsächlichen Bedarfe am Ende adäquat abzudecken. Weitergehend sehe ich nach wie vor verschiedene Probleme, die es zu lösen gilt. Zentral aus meiner Sicht ist – und hier möge man mir die sehr IT-orientierte Perspektive nachsehen – dass viele Bildungs- und Studienangebote, die explizit für den Führungsnachwuchs konzipiert werden, immer noch einen sehr umfangreichen Anteil an rechtlichen Themen und Modulen verlangen. Werden diese Themen nicht integriert, berechtigen die Abschlüsse im Anschluss nicht zur entsprechenden Führungskarriere. Auf der einen Seite verstehe ich, dass diese rechtlichen Fähigkeiten in der Verwaltung bedeutsam sind, auf der anderen Seite würde ich mir deutlich mehr Möglichkeiten einer sehr fachlich aufgebauten (Führungs-)Karriere in der Verwaltung wünschen, die auf einer entsprechend IT-fokussierten Ausbildung beruht. Hier sehe ich gerade in der Ausbildung der potenziellen Führungskräfte einige Anpassungsbedarfe. Ergänzend muss sich weiterhin die Fort- und Weiterbildungskultur, gerade im Bereich der Digitalisierung, wandeln. Das Wahrnehmen von Fort- und Weiterbildungen muss noch viel essenzieller Bestandteil des Berufsalltags werden und darf nicht – von den Führungskräften – als vermeintlicher Urlaub vom Arbeitsalltag gesehen werden.

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