"Das Gelingen einer besseren Rechtsetzung hängt von der Einbeziehung aller Betroffenen ab"

Die Agenda für bessere Rechtssetzung ist das erste umfassende Rahmenwerk für Bürokratieabbau auf europäischer Ebene. Durch sie hat sich die EU-Kommission seit Mai 2015 der Aufgabe verpflichtet, das EU-Politikgestaltungs- und Gesetzgebungssystem zu reformieren. Zu den bisher umgesetzten Initiativen zählt auch die Gründung eines Auschusses für Regulierungskontrolle. Im AWV-Interview erfahren Sie mehr über die Arbeitsweise des Ausschusses für Regulierungskontrolle im europäischen Gesamtgefüge.

Herr Dr. Kopp, wir danken Ihnen für die Bereitschaft zu diesem Interview. Wo verorten Sie die Rolle des Ausschusses für Regulierungskontrolle (AfR) im Gesamtgefüge aus EU-Politik, bessere Rechtsetzung und Bürokratieabbau? Wie ist der AfR organisatorisch in die Beschlussfassung der EU eingebunden?

Der Ausschuss für Regulierungskontrolle ist eine junge Institution und deshalb dankbar für die Gelegenheit, sich bekannt zu machen. Der Ausschuss ist eingerichtet worden, um die Agenda für bessere Rechtsetzung zu unterstützen. Er ist verantwortlich für die Kontrolle der Qualität von in die Zukunft gerichteten Folgenabschätzungen und Evaluierungen, die die Sinnhaftigkeit bestehender Gesetze überprüfen. Diese Prüfung findet statt, bevor die Dokumente den Kommissaren zur Entscheidung vorgelegt werden. Der Ausschuss veröffentlicht eine Stellungnahme, die, im Falle eines negativen Votums, zu einer Revision und erneuten Vorlage führen. Ziel der Prüfung ist die Sicherstellung klarer und empirisch untermauerter Unterlagen für politische Entscheidungen. Was darunter zu verstehen ist, ist in den ­EU-Richtlinien zur besseren Rechtsetzung und einem Methodenhandbuch festgelegt.

In 2017 beurteilte der AfR einen beträchtlichen Teil der geprüften Folgenabschätzungen und Evaluationen zunächst negativ. Die Bedenken konnten zwar in fast allen Fällen beseitigt werden, teilweise aber nur mit Einschränkungen. Worauf führen Sie die häufig negativen Bewertungen zurück?

Die relativ hohe Zahl der negativen Bewertungen geht vor allem darauf zurück, dass die bessere Rechtsetzung neue Anforderungen an den Prozess der Entscheidungsfindung stellt. Hinter der Konstanz des Anteils negativer Bewertungen stehen ein erheblicher Anstieg der Qualität der Folgenabschätzungen und gleichzeitig gestiegene Anforderungen, die beide einen erheblichen Lernfortschritt reflektieren. Der AfR hat in einer tiefergehenden Analyse festgestellt, dass eine unklare Formulierung des Regulierungsbedarfs und eine ungenaue Vorstellung der Kausalbeziehung zwischen dem Regulierungsvorhaben und der erwarteten Zielerreichung die wichtigsten Gründe für negative Stellungnahmen waren. Ein Handicap war auch das Fehlen einer Rückschau auf die Auswirkungen vergangener Initiativen.

Bessere Rechtsetzung ist eine der Prioritäten der EU-Kommission. Wie funktioniert in diesem Bereich die Zusammenarbeit mit nationalen und subnationalen Behörden?

Die Zusammenarbeit mit nationalen und subnationalen Behörden findet im Wesentlichen im Rahmen der Konsultationen statt, die zentraler Bestandteil des Zyklus von Evaluierung und Folgenabschätzung sind. Die Konsultationen beinhalten einen offenen Teil (über elektronische Medien) und einen zielgerichteten Teil, der Behörden, Interessenvertreter und unabhängige Experten zur Diskussion der Regulierungsvorhaben einlädt. Eine große Rolle für die Zusammenarbeit mit Gebietskörperschaften unterhalb der nationalen Ebene spielt der Europäische Ausschuss der Regionen. Nach der Annahme-Initiative durch die Kommission und der Abfassung eines Gesetzestextes wird dieser an das Europaparlament und den Europäischen Rat zur Entscheidung weitergeleitet.

Welche Rolle spielen aus Ihrer Sicht die Konsultationen mit den Adressaten von Regulierungsvorhaben? Erhöht sich die Akzeptanz und Qualität von Regulierungsvorhaben dadurch spürbar?

Die Konsultationen wirken zunächst einmal dem Urteil entgegen, dass die Erarbeitung der Folgenabschätzungen und der Evaluierungen ein technokratischer Prozess sei, der hinter verschlossenen Türen der Kommission stattfindet. Es gibt sicher einen allgemeinen Effekt größerer Akzeptanz dadurch, dass ein solcher Konsultationsprozess stattfindet. Dieser Effekt sollte sich noch vergrößern lassen, indem die Beteiligungsmöglichkeiten an den Konsultationen besser bekannt gemacht werden. Eine intensivere Beteiligung von Interessengruppen und Bürgern liefert bessere Daten für die Schätzungen von Kosten und Nutzen von Regulierungsvorhaben. Sie machen es dem Ausschuss auch leichter, eine klare und detaillierte Darstellung der Regulierungsfolgen einzufordern.

Seit Anfang 2015 findet in Deutschland die sogenannte „One in, one out“-Regel Anwendung, wonach jedes Bundesministerium in dem Maße, in dem es durch neue Regelungen Belastungen für die Wirtschaft aufbaut, an anderer Stelle Belastungen abbauen soll. Inwieweit befürworten Sie eine solches Instrument auf EU-Ebene?

Auf der EU-Ebene werden ebenfalls große Anstrengungen unternommen, die Regulierungskosten zu reduzieren. Die „One in, one out“-Regel mag auch helfen, größere Aufmerksamkeit für dieses Ziel zu mobilisieren. Die Agenda für bessere Rechtsetzung möchte allerdings sicherstellen, dass die Effizienz der Regulierungspolitik erhöht wird. Das beinhaltet zunächst, dass der Nutzen einer Initiative größer sein muss als die Kosten. Das betrifft nicht nur neue Gesetzesvorschläge, sondern auch den Bestand der EU-Regeln. Der Nachweis, dass die Kosten einer Initiative größer sind als ihr Nutzen, beispielsweise im Rahmen der Konsultationen, über die wir vorher gesprochen haben, wird ihre Erfolgsaussichten drastisch reduzieren. Vor der Einbringung eines neuen Regulierungsvorhabens muss, nach dem „Evaluierung zuerst“-Prinzip geprüft werden, ob bestehende Regeln obsolet werden, oder ob Kosten durch Vereinfachungen reduziert werden können. Die „One in, one out“-Regel allein stellt nicht sicher, dass Kostensenkungen nicht gleichzeitig mit Nutzeneinbußen verbunden sind, die größer sind und insgesamt zu einer Verschlechterung der Rechtsetzung führen.

Gibt es einen regelmäßigen Austausch des AfR mit ähnlichen Institutionen auf nationaler und subnationaler Ebene (u. a. Normenkontrollrat)? Was kann der AfR von diesen Institutionen lernen – und umgekehrt?

Der AfR bemüht sich sehr um einen solchen Austausch in dem Bewusstsein, dass ein gemeinsames Verständnis unserer Aufgaben und die Vergleichbarkeit der Folgenabschätzung notwendige Voraussetzung für die Effektivität der Bemühungen um bessere Rechtsetzung sind. Das betrifft nicht nur die Kooperation zwischen der EU und der nationalen Ebene, sondern zwischen allen Gebietskörperschaftsebenen. Wir haben regelmäßigen Kontakt zum Normenkontrollrat, dem BMWi, der OECD Regulatory Policy Division, die ein Peer-Reviewing der mit uns vergleichbaren Institutionen organisiert, und mit RegWatchEurope, einem Zusammenschluss unabhängiger Kontrollgremien in Europa. Wir freuen uns auch sehr über eine Zusammenarbeit mit der AWV. Nicht zuletzt fördern wir auch den Kontakt mit einem größeren Kreis von Partnern durch die jährliche AfR-Konferenz.

Reformen in der öffentlichen Verwaltung werden oft von technologischen und digitalen Anforderungen wie elektronische öffentliche Beschaffung, elektronische Rechnungsstellung oder elektronische Zahlung getrieben. Worin sehen Sie die größten Herausforderungen für die öffentliche Verwaltung bei der Umsetzung neuer EU-Vorgaben auf nationaler Ebene?

Technische Veränderungen in der öffentlichen Verwaltung sind mit hohen Anfangskosten belastet. Die Notwendigkeit, eine reibungslose Kommunikation zwischen einer großen Zahl von Institutionen, zwischen verschiedenen Entscheidungsebenen und dem Bürger herzustellen, sind eine größere Herausforderung als in anderen Bereichen der Wirtschaft. Allen Beteiligten muss klar werden, dass am Ende wesentliche Vorteile aus der Reform zu erwarten sind, die die Anpassungskosten rechtfertigen.

Vom Gelingen einer besseren Rechtsetzung hängt auch die Akzeptanz der EU durch Europas Bürgerinnen und Bürger ab: Worauf müsste Ihrer Auffassung nach bei der Regulierung durch die ­EU-Institutionen künftig noch stärker geachtet werden?

Das Gelingen der besseren Rechtsetzung hängt von der Einbeziehung aller Betroffenen, letztlich auch der Steuerzahler und Konsumenten ab. Der AfR sieht eine große Aufgabe darin, bestehende Beteiligungsmöglichkeiten zu kommunizieren; es gibt immer noch einen Mangel an Kenntnissen beispielsweise über die Konsultationen auf der EU-Ebene. Es besteht sicher auch die Notwendigkeit, die Kosten einer solchen Beteiligung gering zu halten. Nicht alle, die es angeht, haben die gleichen Chancen an der Vorbereitung von Regulierungsvorhaben teilzunehmen. Das zu verändern, rechtfertigt ebenfalls größere Anstrengungen.       

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