"Wir haben beschlossen, dass es besser für uns ist, mit Unternehmen zu kooperieren."

Der Begriff Kooperation ist zurzeit in aller Munde. Die Idee dahinter ist einfach: Durch die Zusammenarbeit in einem Netzwerk entsteht etwas Neues. Doch obgleich Kooperationen heute wichtiger denn je sind, zeigt sich, dass es häufig immer noch bürokratische Hürden gibt, die der kooperativen Zusammenarbeit von Wirtschaft, Verwaltung und Drittem Sektor entgegenstehen, etwa bei der Gründung eines Start-ups. Dem Digitalverband Bitkom zufolge verzichtet jedes dritte Start-up auf Geld vom Staat (Pressemitteilung), obwohl es inzwischen staatliche Unterstützung vor allem bei den ersten Schritten gibt. Viele dieser Start-ups verzichteten vor allem deshalb, weil ihnen der bürokratische Aufwand zu hoch sei. Mit Anne Kjær Riechert, Co-Gründern und Geschäftsführerin der ReDI School of Digital Integration (www.redi-school.org), einem Berliner Start-up, sprachen wir über wesentliche bürokratische Hürden insbesondere in der Gründungsphase.

Frau Kjær Riechert, Sie haben mit Freunden und Unterstützern aus der TechSzene die ReDI School gegründet. Was ist Ihre Motivation, geflüchteten Menschen das Programmieren beizubringen?

Anne Kjaer Riechert: Die ReDI School of Digital Integration wurde 2015 in Berlin als gemeinnütziges Unternehmen gegründet. Unsere Idee ist ganz einfach: Wir bieten IT- und Programmierkurse an, um Integrationsbarrieren abzubauen und geflüchteten Menschen eine Perspektive zu bieten. Denn unter der Flüchtlingsbevölkerung gibt es unglaublich viele lernwillige Talente. Wir geben unseren Studierenden außerdem die Möglichkeit, Teil eines Netzwerkes von Technologieführern, anderen Studierenden und Alumni zu sein. Deshalb wurde ReDI auch von Anfang an gemeinsam mit der Berliner und Münchner Tech-Community ­(u. a. SAP, Facebook, Cisco und Microsoft) und ReDI-Studierenden entwickelt.

War es einfach, das Projekt zu realisieren? Welche bürokratischen Hürden galt es zu überwinden?

Anne Kjaer Riechert: Wir erhalten bislang aus mehreren Gründen keine Fördermittel. Dank der großzügigen Unterstützung der Familie Breidenbach (Mitbegründer der Spendenplattform betterplace.org) konnten wir im Dezember 2015 eine gemeinnützige GmbH (gGmbH) gründen. Von der Idee bis zur Gründung dauerte es drei Monate. Mir wurde gesagt, das sei schnell, aber mitten in einer humanitären Krise fühlen sich drei Monate wie eine Ewigkeit an. Klöckner & Co war bereit, uns von Anfang an zu finanzieren, aber wir konnten ihre Spende nicht erhalten, und deshalb konnten wir kein Gehalt zahlen, bevor der „Papierkram“ genehmigt worden war. Mein Team und ich arbeiteten drei Monate ohne Gehalt. Das war ziemlich frustrierend – aber ich bin meinem Team und meinem Mitgründer Ferdi van Heerden sehr dankbar, dass alle an die Idee geglaubt haben.

Zu Beginn der Flüchtlingskrise gab es keine bzw. nur wenig finanzielle Mittel für Integrationsprojekte. Als dann Finanzierungsmöglichkeiten angeboten wurden, gestaltete sich die Beantragung als bürokratisch und zeitaufwendig. Uns wurde beispielsweise gesagt, dass wir ­20 Prozent der Mittel für die Berichterstattung zurücklegen sollten. Daher haben wir beschlossen, dass es besser für uns ist, mit Unternehmen zu kooperieren.

Dank der finanziellen Unterstützung von Deloitte durchlaufen wir zum Beispiel nun den AZAV-Zertifizierungsprozess: Der Zertifizierungsprozess dient der Anerkennung und der Zulassung von Bildungsträgern und Bildungsmaßnahmen. Die Zulassung ist notwendig, um als gemeinnützige Bildungsorganisation mit den Jobcentern und der Bundesagentur für Arbeit zusammenarbeiten zu können. Ehrlich gesagt hatten wir am Anfang nicht mit so viel Bürokratie gerechnet. Wir sind eine Programmierschule und ändern kontinuierlich unsere Prozesse, um unsere Zielgruppe besser zu erreichen. Das ist ein ganz anderer Ansatz, als nur sicher-
zustellen, dass die Prozesse rechtssicher laufen.

Haben Sie auch positive Erfahrungen mit der öffentlichen Verwaltung gemacht, von denen andere Behörden lernen können?

 Anne Kjaer Riechert: Im Jahr 2018 haben wir mit Unterstützung des Münchner Beschäftigungs- und Qualifizierungsprogramms (MBQ) der Landeshauptstadt München eine neue Schule eröffnet. Es war eine wahre Freude, mit den Verantwortlichen für das MBQ zu arbeiten. Sie waren überraschend proaktiv, flexibel, äußerst hilfsbereit und offen für Innovationen. Ich wünschte, alle Behörden wären so effektiv, effizient und freundlich!

Wie wird Ihr Angebot aufgenommen? Wie viele Menschen haben dadurch bereits eine Arbeit gefunden?

Anne Kjaer Riechert: Die ReDI School hat mit mehr als ­500 Schülerinnen und Schülern, die mindestens einen Kurs absolviert haben, in der Öffentlichkeit eine enorme Wirkung erzielt. Eine Umfrage unter den ReDI-Absolventen ergab, dass fast ­50 Prozent der befragten Studierenden in bezahlte Praktika oder Jobs vermittelt wurden. Darüber hinaus haben sich etwa ­27 Prozent an einer Universität eingeschrieben und ­8 Prozent eine Firma gegründet. Deutsche und internationale Medien wie die ZEIT, die Süddeutsche Zeitung, CNN und BBC haben über uns berichtet. Bundeskanzlerin Angela Merkel, Facebook-Gründer Mark Zuckerberg und die (ehemalige) US-Botschafterin bei der UNO Samantha Powell haben die ReDI School bereits besucht und sich mit den Schülerinnen und Schülern ausgetauscht.

Wo sehen Sie Ihr Projekt in den nächsten zwei Jahren?

Anne Kjaer Riechert: In 2018 wollen wir ein Frauenprogramm in München und ein Kinderprogramm in Berlin starten. Zusätzlich arbeiten wir an der AZAV-Zertifizierung. So können  wir in Zukunft enger mit Jobcentern und der Agentur für Arbeit zusammenarbeiten. Im Jahr 2019 wollen wir in Hamburg ein Pilotprojekt starten, das hoffentlich zu einer neuen ReDI School führen wird. Wir sind offen für weitere Expansionen z. B. nach Stuttgart, Frankfurt am Main und Köln – aber es kommt darauf an, die richtigen Finanzierungspartner aus dem öffentlichen und privaten Sektor zu finden. Der Betrieb einer ReDI-School kostet ca. ­350.000 Euro pro Jahr bzw. ­1.000 Euro pro Lernplatz.

Frau Kjær Riechert, herzlichen Dank für das Interview!

Bild: AWV e.V.