95 Jahre AWV: Vom Lohnstreifen zum digitalen Einkommensnachweis

Der Weg vom "Lohnstreifen" – als rudimentärste Information zum Verdienst – über die Nachweise der Entgeltbescheinigungsverordnung bis hin zum digitalen Nachweis ist lang und noch nicht zu Ende gegangen, auch wenn wir uns dem Ziel ein gutes Stück genähert haben. Der folgende Beitrag gibt einen chronologischen Überblick und zeigt die Bezüge zur Facharbeit der AWV auf.

Lohntüte und Lohnstreifen

Noch bis zu Beginn der 1960er Jahre des vorigen Jahrhunderts war es üblich, dass sich Arbeitnehmer wöchentlich im Lohnbüro einfanden, um dort ihre papierene Lohntüte in Empfang zu nehmen. Darin enthalten waren: der Lohn in bar und der sogenannte Lohnstreifen. Dieser fiel in der historischen Lohndurchschreibebuchführung als Durchschrift der Eintragung auf dem Lohnkonto oder der Lohnliste an und informierte über die Zusammensetzung und Berechnung des ausgezahlten Betrages. Eine andere Form dieser frühen Abrechnung fand direkt auf der Außenseite der Lohntüte ihren Platz: Der aufgedruckte oder händisch eingetragene Brutto- und Nettobetrag ermöglichte es, den Inhalt durch Nachzählen direkt zu kontrollieren.

Bereits im Juni 1957 wurde in den "AWV-Mitteilungen" unter der Überschrift "Das Ende der Lohntüte" auf die "beträchtliche Senkung der Kosten im Verwaltungsgefüge" hingewiesen, die mit einer Umstellung auf monatliche Zahlung verbunden sei. Man kann sich auch heute noch lebhaft vorstellen, wie der wöchentliche Zahltag, der in der Regel auf den Freitag fiel, die Rechnungs- und Buchhaltungsabteilungen blockiert und zudem zu Arbeitsausfällen geführt hat. Auch ein weiterer wichtiger Schritt, den man gehen solle, wurde in dem Artikel skizziert: Statt Barauszahlung werde die allmähliche Einführung der Scheckzahlung nach dem Vorbild der Vereinigten Staaten angestrebt. Und tatsächlich wurde die bare Lohnzahlung in Deutschland in den Folgejahren mehr und mehr verdrängt, weil viele Arbeitgeber dazu übergingen, Löhne und Gehälter zu überweisen – bereits 1958 gab es in der Sparkassenorganisation 4,7 Millionen Girokonten. Die 1961 erschienene AWV-Schrift "Monatliche und bargeldlose Lohnzahlung – ein Vorteil für alle" legt Zeugnis vom Engagement der AWV in diesem Bereich ab.

Die Lohntüte ist aus heutiger Sicht schon lange Geschichte, Überweisung des Entgelts und eine dazugehörige Abrechnung in Papierform – zunehmend auch in digitalen Formaten – sind Standard. Dennoch hat der Begriff "Lohntüte" in der Gewerbeordnung (GeWO) bis zum 31.12.2002 – und damit erstaunlich lange – überlebt, wie ein Blick in § 134 Abs. 2 GewO a. F. zeigt. Darin hieß es: "Den Arbeitnehmern ist bei der regelmäßigen Lohnzahlung ein schriftlicher Beleg (Lohnzettel, Lohntüte, Lohnbuch usw.) über den Betrag des verdienten Lohnes und der einzelnen Arten der vorgenommenen Abzüge auszuhändigen". Tatsächlich war dieser kurze Satz die einzige Anspruchsgrundlage für die Verschriftlichung von Abrechnungsergebnissen, die zudem nur für gewerbliche Arbeitnehmer in Betrieben ab zwanzig Beschäftigten galt. Erst mit der umfassenden Novellierung durch das Dritte Gesetz zur Änderung der Gewerbeordnung im Jahr 2002 wurde die Norm sprachlich korrigiert und unter Berücksichtigung einer veränderten Arbeitswelt neu gefasst (im neuen § 108 GewO vom 24.08.2002, s. BGBl I, S. 3412). Unabhängig von Betriebsgröße und Anzahl der Beschäftigten hat der Arbeitgeber fortan dem Arbeitnehmer bei Zahlung des Arbeitsentgelts eine Abrechnung in Textform zu erteilen, wobei die Abrechnung mindestens Angaben über Abrechnungszeitraum und Zusammensetzung des Arbeitsentgelts enthalten muss.

Standardisierung von Verdienstbescheinigungen

Während die Aktivitäten der AWV im Bereich des Personalwesens ab den 1970er Jahren einen Schwerpunkt in der Personalplanung und Bedarfsermittlung hatten, rückte in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre das Entgeltmanagement als Abwicklungsfunktion für alle geldlichen Leistungen an Arbeitnehmer verstärkt in den Fokus. Dadurch kam eine Entwicklung in Gang, welche die erfolgreiche Facharbeit im AWV-Fachausschuss 2 "Verwaltungsvereinfachung und Entbüro­kratisierung im personalwirtschaftlichen Umfeld" durch die damit erschlossene Themenvielfalt bis zum heutigen Tag prägt. Denn die Aufgaben der Entgeltabrechnung erschöpfen sich keineswegs in Berechnung, Auszahlung und Nachweis der zu zahlenden Gegenleistung für die erbrachte Arbeitsleistung. Vielmehr ist hier auch das umfangreiche Beitrags- und Meldeverfahren zur sozialen Sicherung sowie die Berechnung und Abführung der Lohnsteuer angesiedelt, mit der eine ganze Reihe von Gremien des Fachausschusses 2 befasst sind. Erster Berührungspunkt der AWV waren allerdings die ausufernden und vielfältigen (Verdienst-)Bescheinigungen, die Arbeitnehmer zur Vorlage bei Behörden und vergleichbaren Einrichtungen benötigen. Denn viele staatliche Leistungen – genannt seien hier nur Arbeitslosen-, Kranken-, Wohn- und Elterngeld als die bekanntesten Unterstützungen – knüpfen tatbestandlich an das jeweilige Einkommen einer Person zur Bemessung und Begrenzung dieser Leistungen an. Vor diesem Hintergrund ist nachvollziehbar, dass die Daten aus der Abrechnung einen zunehmenden "Wissensdurst" bei den zuständigen Behörden und öffentlich-rechtlichen Einrichtungen erzeugten. Zwecks Dokumentation der zunehmend spürbaren bürokratischen Belastungen von Unternehmen durch die Verdienstbescheinigungen erfolgte 1986 ein Aufruf der "Arbeitsgemeinschaft Lohn und Gehaltsabrechnung" (ALGA), im Zuge dessen weit über 1.000 von Unternehmen gesammelte Vordrucke eingingen. Um das damit nun offensichtliche Problem zu beheben, konstituierte sich 1987 der bis heute bestehende AWV-Arbeitskreis 2.18 "Vereinheitlichung der Bescheinigungen in der Lohn- und Gehaltsabrechnung". Schwerpunkt dieses Gremiums, dem (Abrechnungs-)Experten aus Wirtschaft und Verwaltung angehören, ist die Entwicklung von Mustern für die maschinelle Erstellung von Verdienstbescheinigungen, die mit den auf Empfängerseite zuständigen Behörden abgestimmt und dann veröffentlicht werden. Die Standardisierung der Verdienstbescheinigungen hat sich nicht nur als Daueraufgabe, sondern auch als beständige Erfolgsgeschichte erwiesen. Denn die Vereinheitlichung von Vordruckmustern ist nach wie vor ein wichtiger Beitrag zum Abbau von Bürokratie, der zudem die Implementierung des elektronischen Austauschs von Bescheinigungsdaten – bspw. im Verfahren zur Übermittlung von Bescheinigungen für Entgeltersatzleistungen nach § 107 SGB IV – gefördert und befeuert hat.

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