Entbürokratisierung durch Digitalisierung in der Lohnabrechnung – Fluch oder Segen?

Die Digitalisierung ist mittlerweile in allen Lebensbereichen spürbar. Neben neuen technologischen Entwicklungen verändert diese größte Umwälzung in den Wirtschaftsprozessen seit der Industrialisierung auch die Lohnabrechnung in einem rasanten Maße. Diese Entwicklung stellt auch die Arbeitgeber bzw. die mit der Lohnabrechnung beauftragten Steuerberater immer wieder vor neue Herausforderungen. Denn in den letzten Jahren sind nicht nur im Steuerrecht, sondern zusätzlich auch in allen Zweigen der Sozialversicherung Datenübermittlungen von den Arbeitgebern bzw. Steuerberaterkanzleien an die verschiedenen Träger der Sozialversicherung digitalisiert worden.

Steuerberater – der Ansprechpartner in der Lohnabrechnung

In besonderem Maße ist der Berufsstand der Steuerberater von dieser Entwicklung betroffen. Mehr als 96.000 Steuerberater und Steuerberatungsgesellschaften sind bundesweit für ihre Mandanten nicht nur erster Ansprechpartner in der Steuerberatung, sondern auch erster Ansprechpartner in der Lohnabrechnung der in Deutschland zahlreich vertretenen kleinen und mittleren Unternehmen. Die Gruppe macht einen Anteil von 99,3 % aller Unternehmen aus und beschäftigt etwa 60 % aller erwerbstätigen Personen. Mit einigen Zahlen lässt sich die Relevanz des steuerberatenden Berufs in der Lohnabrechnung eindrucksvoll belegen: Monat für Monat werden allein über die DATEV, das berufsständische Rechenzentrum, mehr als 12 Millionen Lohnabrechnungen erstellt und pro Jahr mehr als 260 Mio. Meldungen in elektronischer Form abgegeben. Gemeldet wird derzeit an fast 20 verschiedene Stellen, angefangen bei den Arbeitsagenturen bis hin zum Zentrum für Informationsverarbeitung und -technik (ELSTER Lohn II).

Digitalisierungsdruck in der Lohnabrechnung

Die Digitalisierungsflut ist nicht mehr zu stoppen und bestimmt auch die Lohnabrechnung der näheren Zukunft (siehe u.a. auch der Beitrag „VISION 2030 Abgabenverfahren der Zukunft“). Die Sozialversicherungsträger und Steuerberater arbeiten hieran weiter. So stehen der Ausbau weiterer lohnrelevanter Verfahren, wie zum Beispiel die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und die elektronische Übermittlung des Kurzarbeitergeld-Leistungsantrags, schon vor der Tür. Und die Mandanten, aber auch die Mitarbeiter aus der Generation der „Digital Natives“ fordern weitere Änderungen ein. Zusätzlicher Veränderungsdruck wird durch die Umwälzungen auf dem Arbeitsmarkt spürbar werden. Bis zum Jahr 2030 erwartet die Politik einen Rückgang um sechs Millionen Beschäftigten. Hinzu kommen immer ausgefeiltere Softwarelösungen und ein zunehmender Wettbewerb mit anderen Anbietern. Für Steuerberater bedeutet das schon heute, die Potentiale der Digitalisierung bei den eigenen Kanzleiprozessen, auch im Lohnbereich, zu erkennen und diese ebenso wie die Qualifizierung der Mitarbeiter in die eigenen Kanzleistrategien einfließen zu lassen. Denn der Service „Lohn und Gehalt“ bleibt auch in der Zukunft eine weiter von den Mandanten nachgefragte Leistung, weil Mandanten sich um ihr eigentliches Kerngeschäft und nicht um die „Stolperfalle“ Lohnabrechnung kümmern wollen.

Bürokratisierungsfalle „Digitalisierung“?

Damit sich der Segen der Digitalisierung aber nicht zu einem Fluch verkehrt, müssen die mit viel Engagement initiierten Verfahren immer wieder auf den Prüfstand gestellt werden. Als Massenverfahren sollten die digitalen neuen Verfahren in der Lohnabrechnung entsprechend einfach zu handhaben sein. Ansonsten könnten sie zu einer Bürokratisierungsfalle werden. Aber auch die Implementierung neuer Verfahren verursacht selbst dann, wenn alles reibungslos läuft, einen nicht zu beziffernden Umstellungsaufwand bei den Lohnabrechnern. In der Praxis kommt es regelmäßig zur Verschiebung bereits bekanntgegebener Starttermine, zu zu kurzen Pilotverfahren und damit nicht hinreichend getesteten digitalen Prozessen oder im schlimmsten Fall dann nach der Einführung sogar zur Einstellung. Bestes Beispiel ist das ELENA-Verfahren. Jüngstes Beispiel zum Jahreswechsel 2016/2017 ist die Einführung des digitalen Lohnnachweises in der gesetzlichen Unfallversicherung (UV). Nach dem Scheitern des Datenbausteins Unfallversicherung hat der Gesetzgeber den Unfallversicherungsträgern erneut aufgegeben, den Papierlohnnachweis durch einen elektronischen UV-Lohnnachweis zu ersetzen. In den Steuerberaterkanzleien, aber auch in den telefonischen Hotlines der Softwareunternehmen, standen die Telefone nicht mehr still. Für Aufregung sorgte u. a. das neu von der UV eingerichtete PIN-Verfahren, aber auch die unterschiedlichen Mitgliedsnummern der Unfallversicherungsträger. Vielleicht hatte der Gesetzgeber dieses schon vorausgeahnt und deshalb alle Unternehmen verpflichtet, parallel dazu ihre UV-Meldung noch in Papierform abzugeben. Im Ergebnis wurde das Ziel, unnötige Bürokratie abzubauen, damit verfehlt. Allerdings gibt es auch positive Ansätze, die hier nicht unerwähnt bleiben sollen. So haben z. B. die Träger der Deutschen Rentenversicherung schon vor der Einführung der elektronisch unterstützten Betriebsprüfung (euBP) alle Beteiligte, also Arbeitgebervertreter, Sozialversicherungsträger, Softwareentwickler und die Bundessteuerberaterkammer, an deren Entwicklung beteiligt. In verschiedenen Workshops wurde gemeinschaftlich die Umstellung auf eine digitale Prüfung diskutiert, und auch die Weiterentwicklung der Prüfung wird wieder nach dem bewährten Vorgehen vorangetrieben. Der steuerberatende Beruf hat sich hier von Beginn aktiv in die Entwicklung eingebracht. Die euBP ist aus Sicht des steuerberatenden Berufs ein richtiger Schritt in Richtung Digitalisierung in der Lohnabrechnung und zudem auch ein Schritt zur Steigerung der Effizienz in den Kanzleien. Als positiv wird bewertet, dass die euBP bisher noch nicht verpflichtend eingeführt wurde, sondern optional ist. Außerdem verringert sie nicht nur für die Betriebsprüfer den Aufwand einer Betriebsprüfung. Auch in den Kanzleien ist eine Entlastung bereits heute zu spüren. Kein Wunder also, dass die Anzahl der euBP kontinuierlich ansteigt. Immens wichtig ist aber auch, dass die euBP weiterentwickelt wird. Aus Sicht des steuerberatenden Berufs muss noch die Digitalisierung der vor-, aber auch der weiteren nachgelagerten Prozesse erfolgen. Die Prüfankündigung, die Prüfbescheide, aber auch die Prüfmitteilungen müssen für einen durchgängigen, medienbruchfreien Prozess in elektronischer Form übertragen werden. Auch die Weiterentwicklung bei der Übertragung der bereits in elektronischer Form vorhandenen und mit den Buchungen verknüpften Belegen aus der Finanzbuchführung ist notwendig. In Anbetracht der geschilderten Möglichkeiten erscheint es nicht plausibel, weshalb der Steuerberater aktuell einen benötigten Beleg ausdrucken und dem Prüfer sodann zufaxen muss und nicht die heute vorhandenen Möglichkeiten nutzen kann.

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Text: Karl-Heinz Bonjean, Präsidialmitglied der Bundessteuerberaterkammer, Berlin
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